Bauprojekte Revaler Straße / Simplonstraße (Friedrichshain)

  • Städtebaulich sinnvol ist der bestehende Zustand und die Planungen für den Rewe auf keinen Fall.

    Aber da man hier ja schon ein politisches Urteil gefällt hat, frage ich mal, auf welche Sachkenntnis sich dieses beruft: Ist es möglich, auf der bestehenden Tiefgarage, auf der auch der Nachbardiscounter aufbaut, einseitig höhere Lasten aufzutragen? Wenn nicht, ist es funktional möglich, die Tiefgarage zu teilen und einseitig eine neue Gründung und Tiefgarage zu planen? Ansonsten, ist es möglich, Aldi ebenfalls zu zwingen, ihren Laden abzureißen und neu aufzubauen?

  • natürlich kann kein grundstückseigentümer gezwungen werden, wohnungen zu bauen. da hast du recht 💁🏼‍♂️ aber durch gewisse anreize kann man seine entscheidungen so beeinflussen, dass es für ihn wirtschaftlich sinnvoll bleibt, gleichzeitig städtebaulich sinn macht und wohnungen geschaffen werden

    Es gibt durchaus Möglichkeiten, die Grundstückseigentümer in eine gewünschte Richtung zu drängen. Das Zauberwort lautet: Bebauungsplan ;)

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    Das Thema Bebauungsplan und gewünschte Richtung kam an anderer Stelle schon einmal auf. Dort fiel auch der Begriff "Planungshoheit", womit eine Kommune angeblich bis ins Detail vorschreiben könne, was und wie gebaut wird. Zum einen unterliegt auch eine Bebauungsplanung der Verhältnismäßigkeit, zum anderen nützt ein B-Plan bei bestehendem Baurecht / B-Plan wenig. Sofern der Bauherr einen Bauantrag entsprechend bestehendem Baurecht bei der Genehmigungsbehörde einreicht und in diesem keine wesentlichen Mängel festgestellt werden (Art der Nutzung, Abstandsflächen, Lärmemission etc) wird die Baugenehmigung erteilt (einer Kommune bieten sich zwar u.U. Einspruchsmöglichkeiten, der Erfahrung nach sind diese aber mit erheblichen rechtlichen und finanziellen Risiken verbunden).


    Entscheidend dürfte für viele Eigentümer die zeitliche Diskrepanz zwischen Bauen nach bestehendem Baurecht oder Bauen nach neuem / verändertem Bebauungsplan sein. 2-4 Jahre sind da ja keine Seltenheit. Wenn das wirtschaftliche Interesse an einer schnell umsetzbaren Einzelhandelsnutzung größer ist als einer langfristigen und großflächigen Neuentwicklung, wird ein Eigentümer zudem kaum selbst ein vorhabenbezogenes Bebauungsplanverfahren anstoßen. REWE dürfte eher zu Erstgenannten gehören.


    Für das gesamte Areal Revaler- / Modersohnstraße ist offenbar seit 1992 ein B-Plan in Aufstellung (V-32), vorgesehen als Gewerbegebiet. Eine Festsetzung fand wohl bis heute nicht statt, warum auch immer.

    Quelle: 2015 wollten die Grünen hier bereits eine Übersicht sämtlicher B-Pläne und Änderungsplanungen erstellt haben: https://gruene-xhain.de/archiv…lichen_friedrichshain.pdf

  • Danke Architektenkind, sehe ich genauso so, dass was hier passiert ist echt völlig Meschugge! Man redet immer von großem Platzmangel und dann dieses Ergebnis?! Die Logik kann man nicht mehr wirklich nachvollziehen. Mehr Nahversorgung / Erhaltung ist ja absolut begrüßenswert, aber diese Lösung hätte in der Tat anders ausfallen müssen, so wie Du es genannt hattest im letzten Post.

  • Bedauerlich finde ich es vor allem auch städtebaulich, weil an der Modersohnbrücke die Stadt in zwei Teile zerfällt; der Weg vom Rotherkiez über die Gleise hinweg rüber ins alte Boxhagen ist unangenehm, weil die beiden Siedlungen zu den Gleisen hin unwirtlich ausfransen. Hätte man eine urbane Bebauung an die Gleise heran gerückt, dann würde gefühlt hier nicht so ein breiter Riss durch Friedrichshain gehen.

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    Aber genau diese Lücke wird doch in den nächsten Jahren quasi geschlossen.

    Auf der oben schon genannten Artrium Seite ist in der Projektübersicht ja ein weiteres Grundstück zu sehen was in Entwicklung ist (ganz unten rechts).

    Interessant. Wenn dort neu gebaut wird, wäre es eigentlich die ideale Gelegenheit eine Verbindung zwischen Rudolfkiez und Anschutz-Gelände zu schaffen.

    Zumindest ein Fuß-und Radweg zwischen Tamara-Danz-Straße und Rudolfstraße müsste doch drin sein. (Aber vermutlich gehört das Stück dazwischen noch der Bahn?)

  • Konnte gestern einen Schnappschuss der Revaler Spitze machen - mittlerweile ist das gesamte Projekt abgerüstet und es wird an einer Art Stadtplatz gearbeitet. Besonders bemerkenswert finde ich die Zierleisten unter den Fenstern die ohne Sinn und Zweck in den Backstein integriert wurden - ein ganz klares Statement gegen die Moderne. Fast schon ornamental.



  • ^ Um das "Nein" zu erläutern: Zum einen ist ein Bauwerk zunächst einmal kein Statement gegen andere Bauwerke, sondern steht für sich. Ein Schnitzel ist kein Statement gegen ein Steak. Zum anderen ist die Revaler Spitze zeitgenössische Büroarchitektur mit Anlehnung an die Neue Sachlichkeit – sprich: Die frühe Form der Moderne in der Weimarer Republik. Horizontale Backsteinbänder als Schmuck finden sich etwa in Bruno Tauts Siedlung Schillerpark im Wedding. Und die gehört zum UNESCO-Welterbe "Siedlungen der Berliner – na? richtig: Moderne".


    Um dieses Projekt davon abzugrenzen, gar zu einem Statement zu machen, hätte es schon ein wenig mehr Dekorationsaufwand z.B. Richtung Backsteinexpressionismus bedurft. Wie beim grandiosen Ullsteinhaus. So spiegelt es eher die früh-klassische Moderne, als dagegen aufzubegehren.


    Mir gefällt die Revaler Spitze im Großen und Ganzen gut. Nur finde ich den Anteil an Glas bei den roten Gebäudeflügeln zu hoch; auch sind die Fenster im Vergleich zum Epochenvorbild zu grob unterteilt. Das wurde andernorts in Berlin besser und mit mehr Liebe zum Detail gemacht – z.B. beim TU-Gebäude in der Marchstraße von Nöfer.

  • Kommt wirklich drauf an was du unter Moderne verstehst - historisch war die Moderne doch nach meinem Empfinden viel variantenreicher und nicht längst so eindimensional und puristisch - da gab es auch mehr Ansätze als den rein philosophisch hinterlegten, des Absoluten und des unbedingt ehrlichen, totalreduzierten und rationalistischen.


    Es gibt sogar Bauten des Bauhaus in Lichtenberg mit spitzdach oder Sichtziegelriemen und betonten Fensterfaschen die man eher als dekorativ und gliedernd sehen kann die legendäre weiße Kiste war denke ich nie so umsetzungsstark.


    Parallel zur Moderne des Bauhaus gab es immer noch die Nachwehen der Reformarchitektur innerhalb der Moderne, das Art Deco, den Expressionismus, Modernismus, Futurismus und traditionelle Strömungen bis hin zum Klassizismus die sich moderner Ausdrucksmittel und einem modernen Selbstempfinden gar nicht so verweigert haben.

    Ich hatte bei den Bauten hier eher spontan den Eindruck als würde man sich am Thema „Loft“ abarbeiten für so etwas gibt es ja durchaus eine gewisse Nachfrage und diese Architektonischen Aussagen passen ja auch ganz gut reflektierend auf die Historie zum hier besetzten Areal.


    Mir gefällt das Ergebnis bei den beiden Bauten, es ist vielgestaltig, nicht überdimensioniert und besonders gefällt mir die Erhöhung der Seitenflügel, die die leidige staffelgeschossflucht in der Traufhöhe bricht.

    Bei den anderen Bauten fällt das hingegen wieder mal sehr abträglich auf, hier hätte man mit einer unterschiedlichen Gestaltung der Attika, Geländern oder etwas mehr Betonung der eckgestaltung auch mit wenig Mitteln mehr Differenzierung und Charakter einarbeiten können so deutet sich hier hingegen wieder diese dröge ungebrochene schachtelung an, obwohl die Bauten eigentlich bis auf die turmartige Erhöhung fast gespiegelt wirken.

    Aber ich freu mich darüber dass man sich darüber bewusst wurde dass man einen Corso von sonst Flachen Ziegelfassaden abseits der Farbgebung mit überschaubarem Aufwand durch kleine Zusätzliche Strukturen etwas beleben kann.

  • ^^Ich meiner "Ja" durch eine klare Abwendung der durch Funktionalität geprägten Moderne. Das Wiederaufkommen von großen Sprossenfenstern und Schmuckbändern sind definitiv eine "Rückentwicklung". In den 80er Jahren aus meiner Sicht noch völlig undenkbar bei profanen Bürobauten. Mir fällt zumindest kein passendes Beispiel aus dieser Zeit ein. Und wenn wir uns tatsächlich auf einem Zeitstrahl zurück in die Vergangenheit der Architekturgeschichte befinden, mag dies im ersten Schritt wie ein Rückgriff auf die "frühe Moderne" erscheinen - im nächsten Schritt sind wir dann womöglich endlich wieder bei echten Ornamenten und klassischer Gliederung der Fassadenstruktur angelangt. Damit wäre dann (hoffentlich) gegen Ende der 2040er Jahre der vulgäre Ausflug in die reine Funktionalität ad acta gelegt. Ich würde mich darüber freuen!

  • < Ich bin für Vielfältigkeit, auch in der Architektur. Alles sollte und muss möglich sein. Auch zu der von Dir so sehr herbeigesehnten Zeit mit vielen Dekorelementen und Zierrat gab es die friedliche Koexistenz unterschiedlichster Ausprägungen und Stile. Die von Dir gewünschte Diktatur des Ornamentalen hat es nie gegeben und wird es sehr sicher auch nie geben. Nur durch Vielfalt kann Neues entstehen. Und das scheint mir erstrebenswert zu sein. Weil Du gerade auf die 80er Jahre abziehlst, ein besseres Gegenbeispiel zu Deiner These hättest Du garnicht liefern können. Ich empfehle sehr den Besuch der fantastischen Ausstellung in der Berlinischen Galerie über die Architektur und Stadtplanung der 80er Jahre im Vergleich zwischen West- und Ostberlin.

  • ^Das war auch mein Gedanke: Sprossenfenster sind doch gerade in den 80er Jahren wieder volle Lotte in Mode gekommen. Lustigerweise waren große Teile der Postmoderne von unzähligen Zitaten der neuen Sachlichkeit durchzogen. Gerade in den 80ern hat man das industirelle Sprossenfenster der Zwanziger Jahre genauso zitiert wie klassischere Sprossenfenster aus Altbauten. Ich erinnere mich, dass auch meine Eltern alle Fenster im Haus durch 'bauhausige' Sprossenfenster ersetzen ließen.

  • ^Ja in der Regel aus Plastik und im Fenster integriert. Das war wirklich hässlich. Der Weg zurück wurde nie aufgegeben, aber die Entwicklung wird über die Jahre immer eindeutiger. Daher sehe ich einen positiven Trend.

  • zu #282 und #285:

    Das Ganze sieht jedenfalls sehr elegant aus. Wenn das Ergebnis so überzeugend ist wie hier, ist es mir letztendlich egal, in welche architektonische Epoche eingeteilt wird.

  • Sehr schön! Warme Farben aus dem Corbusier-Handbuch, Klinker, große Fenster, dezente aber wirkungsvolle Tricks den Kasten interessanter zu machen. Modernist:Innen wie Stuck-Fans und alle dazwischen werden hier ihre Freude dran haben.


    Vom Auffüllen einer traurigen Lücke ganz zu schweigen.


    Steht beim nächsten Berlin-Trip aufm Plan.

  • Der rote Klinkerbau könnte so auch als Altbau in jedem amerikanischen oder australischen Industriequartier stehen. Für die Leute dort ist sowas die einfachste Nutzarchitektur. Aber auch ich freue mich, hier eine ganz einfache aber grundsolide Fassade zu finden. Der Bau zeigt, wie einfach es eigentlich sein kann: ein warmes Material, eine Gliederung der Fassade durch differenzierte, vertikale Achten. Eine dezente Profilierung der Oberflächen durch spielerische Legung der Backsteine und ein paar ordnender Simse, die in diesem Fall die drei Mittelachsen visuell verklammern. Schade eigentlich, dass man sich über diese simplen Kniffe schon freuen muss. Denn viele scheinen sich einig zu sein, dass das doch ein recht gelungener Bau ist - sogar für die beiden sich sonst "unversöhnlich gegenüberstehenden Lager". ;)

  • Das Projekt zeigt, wie man mit wenigen Mittel gelungene Fassaden produzieren kann. Davon müsste es viel mehr geben. In den USA ist der Industriestil inzwischen Modewelle - Ziegel, schwarze Sprossenfenster, eine Reihe Bogenfenster, gegliederte Fassade und fertig. Anbei zwei Beispiele zu Konzept und Umsetzung -

    Washington Avenue in Philadelphia

    Konzept:

    https://phillyyimby.com/2020/1…l-south-philadelphia.html

    Bauphase:

    https://phillyyimby.com/2021/0…in-graduate-hospital.html