Berliner Stadtverkehr kontrovers diskutiert

  • Wer ein Beispiel bezüglich eines Verkehrsinfarkts sehen möchte, kann sich die Bölschestraße in Köpenick anschauen.

    Dort wurde die zweite Spur zur Fahrradspur umgewandelt, sodass sich nun Tram und PKW eine Spur teilen. Zu Stoßzeiten ist die komplette Straße dicht und es kommt niemand mehr voran, außer die handvoll Fahrradfahrer.

    Auf der Leipziger ist m.E. immer Stoßzeit. Das ideologische Geblubber der Grünen und diesem "Klimabeirat" sollte man ignorieren.


    Bitte etwas mehr sprachliches Niveau und weniger "Geblubber". Danke.

  • ^Hm, wo sind die Radfahrer denn vorher gefahren? Mit auf der Straße? Jedenfalls sehr suboptimal. Wenn der Radverkehr nicht nur den MIV massiv ausbremst, sondern auch gleich noch mit den ÖPNV, dann läuft mE was falsch und es sollte so gar nicht erst genehmigt werden. In meinen Augen sollten sich MIV aber auch Radverkehr im Zweifel einem möglichst leistungsfähigen ÖPNV unterordnen.


    Nur ein (Bruch-)Teil der Menschen wird mit dem Fahrrad sämtliche mittlere und längere Strecken abdecken bzw. alles erledigen können und wollen. Alte Menschen, Familien usw. haben meist gar nicht erst die Wahl und beim Rest wird es teils flexibel, teils auch kategorisch primär per Rad oder primär ohne abgedeckt. Wenn bis auf die Radfahrer dann alle täglich im Stau hängen, dann ist das für mich leider Verkehrspolitik mit dem Mittelfinger. Genau so etwas darf nicht passieren, wenn man eine Verkehrswende und zugleich auch eine funktionierende Stadt will.



    Aber auch noch ein paar andere aktuelle Daten zum Thema Radwege: Tatsächlich wurden nach einer relativ kurzen Prüfung von "einigen Wochen" immerhin 16 von 19 Projekten wieder frei gegeben. Durch die Verzögerungen wurden von Januar bis September 2023 tatsächlich aber erst gut 6km Radwege fertig gestellt. Das sind fast 50% weniger als im Vergleichszeitraum 2022. Eigentlich plant man für 2023 sogar mit 60km Radwegen und für 2024 dann mit 100km (auf jeden Fall wollte man eigentlich sogar besser darin werden als die letzte Koalition). Wie viel von Oktober bis Dezember tatsächlich noch umgesetzt wird/wurde, wird man ja bald sehen. Dass Gelder durch die Verlagerung ins Folgejahr komplett verfallen wie von der Opposition "befürchtet", halte ich bei regionalen Mitteln dagegen eher für unwahrscheinlich. Hoffentlich geht es dann aber spätestens im nächsten Jahr wirklich flott voran. Spannend werden zudem wohl auch noch die Umplanungen bei den restlichen 3 Projekten...

  • Die Bölschestraße ist auch eher eine untergeordnete Straße. Keine Verbindungstraße. Niemand muss durch die Bölschestraße fahren, der nicht in unmittelbarer Umgebung was zu tun hat. Man kann leicht über Google Maps - aktuelle Verkehrslage - verfolgen, wie realistisch dieser "Verkehrsinfarkt" ist.


    Die Verkehrsströme werden sich anpassen.

  • Die Bölschestraße ist, als Ku'damm des Südostens, soweit ich weiß, auch eines der Pilotprojekte für autofreie Straßen neben der Schlossstraße in Steglitz. Da in der Tat niemand wirklich durch die Straße fahren muss um Richtung Köpenick Innenstadt zu gelangen, wäre das Vorhaben zu begrüßen.

  • Zumindest außerhalb der Stoßzeiten ist der Verkehr in der Bölschestraße auch sehr entspannt. Und es ist ja auch nicht der Radverkehr, der hier die Straßenbahn ausbremst, sondern der MIV, der hier immer noch 2 Spuren pro Richtung beansprucht. Je eine zum Fahren und eine zum Stehen (Parken).

    Für Radfahrer war die Straße früher gefährlich und unkomfortabel, daher ist es mehr als richtig, dass sie nun einen (ungeschützten) Radstreifen erhalten haben. Dem Umbau gingen auch ausreichend lange Planungen samt Bürgerbeteiligungen voraus.

  • Spannend, danke für Eure Erläuterungen. Dann nehme ich diesbezüglich natürlich meine Bewertung zurück. Richtung Köpenick war ich selbst bisher immer nur mit dem ÖPNV unterwegs und kenne die Situation daher nur aus eingeschränkter Perspektive. Und in der Tat kann und muss mE nicht jede Straße für jedes Verkehrsmittel genutzt werden können.

  • Ich zitiere mich ausnahmsweise mal etwas selbst:

    Aber auch noch ein paar andere aktuelle Daten zum Thema Radwege: Tatsächlich wurden nach einer relativ kurzen Prüfung von "einigen Wochen" immerhin 16 von 19 Projekten wieder frei gegeben. Durch die Verzögerungen wurden von Januar bis September 2023 tatsächlich aber erst gut 6km Radwege fertig gestellt. Das sind fast 50% weniger als im Vergleichszeitraum 2022. Eigentlich plant man für 2023 sogar mit 60km Radwegen und für 2024 dann mit 100km (auf jeden Fall wollte man eigentlich sogar besser darin werden als die letzte Koalition). Wie viel von Oktober bis Dezember tatsächlich noch umgesetzt wird/wurde, wird man ja bald sehen. Dass Gelder durch die Verlagerung ins Folgejahr komplett verfallen wie von der Opposition "befürchtet", halte ich bei regionalen Mitteln dagegen eher für unwahrscheinlich. Hoffentlich geht es dann aber spätestens im nächsten Jahr wirklich flott voran.

    Bekanntlich ist das Jahr 2023 inzwischen ja Geschichte und somit kann man sich die Bilanz nun ansehen. Nach gut 6km von Januar bis September erreichte man zuletzt immerhin noch 22,3km oder knapp 80 Prozent des noch komplett RGR verantworteten Vorjahres.


    Interessant finde ich hierbei zudem ja auch, dass von Ende April bis September nur noch 5 Monate vergingen und davor eben auch bereits 4 (allerdings ca. 2 davon natürlich noch im Winter). Die "nur" 6km bis Ende September kann man somit faktisch gar nicht allein der vermeintlichen Brems-Mission des neuen Senats zuschreiben. Noch interessanter wird es, wenn man es dann im Kontext der Vorjahre betrachtet, wo in (inkl. Januar bis April 2023) knapp 5 Jahren ebenfalls nur etwas über 110 von geplanten 2.700km Radwegen realisiert werden konnten: Macht im Schnitt also gut 22km pro Jahr, was der neue Senat also trotz der kritisierten Verzögerungen ebenfalls erreichte! Und selbst wenn man die vollen 6km aus Januar bis September 2023 alleine auf die beiden milden Monate März und April legen würde (es also so positiv für RRG ausgelegt/verzerrt wie es nur irgendwie geht), käme man mit 3km/Monat hochgerechnet trotzdem nur auf eine Bilanz von möglichen 24km für das zum Regierungswechsel noch vorhandene Restjahr inkl Dezember (somit hätte man noch rund zwei Drittel dieses bereits stark idealisierten(!) Wertes erreicht). Und wenn man von Januar bis September 2023 ganze 50% unter dem Vergleichszeitraum 2022 lag (demnach damals über 12 km geschafft wurden), dann wurden in den Monaten Oktober bis Dezember 2023 etwa ebenso viele km gebaut wie im Vorjahreszeitraum, i.e. ca. 16 km.


    Wie man es also dreht und wendet: Ich komme da in gar keinem Fall auf so eine krasse Diskrepanz zwischen altem und neuem Senat, welche die teils vernichtende Rhetorik der "Wende rückwärts" oder "Wende von der Wende" usw. sowie die ganze kritische Presse auch nur annähernd rechtfertigen würde, hier ein paar Stilblüten:

    - Politik nur für Autofahrer: Verliert Berlin seine Vorreiterrolle in Sachen moderne Mobilität

    - Gestoppt, verzögert, Gelder verfallen - Ausbau der Berliner Radwege hat deutlich an Fahrt verloren (ebenfalls angezeigt unter: "Ausbau verliert unter Verkehrssenatorin Schreiner deutlich an Fahrt")

    - Fünf Prozent nach über fünf Jahren: So schlecht steht es um den Ausbau des Berliner Radwegenetzes (trotz teils ähnlichem Grundtenor immerhin noch der differenzierteste und fairste Artikel)


    Spannend finde ich ferner, dass u.a. die Grünen neben dieser Rhetorik nach wie vor behaupten, die nicht verbauten Gelder seien jetzt unwiederbringlich verfallen und verloren. Erstens trifft das so nicht zu (faktisch WIRD ja weiter an den Projekten gearbeitet und somit in Summe das selbe Geld investiert), zweitens wurde das bereits öffentlich widerlegt und drittens müsste ansonsten ja exakt das Gleiche auch auf die eigene Regierungszeit zutreffen (wo man faktisch ebenfalls Jahr für Jahr nie im Plan lag und viel zu wenig realisiert hat).


    Aber egal wie schwachsinnig bzw. eigentlich fast schon kackdreist verlogen und selbstgerecht diese Partei sich artikuliert: Die Presse schreibt es an erschreckend vielen Stellen eins zu eins ab und kommt oft auch noch zur identischen Gesamtbewertung, ohne selbst auch nur einmal den Rechenschieber rauszuholen oder die Kontingenz der Behauptungen zu überprüfen. Am Ende wird teilweise sogar noch suggeriert, da Berlin nun sparen müsse, werde es in Zukunft womöglich sogar noch schlimmer beim Radwegeausbau kommen. Ich dachte zwar, das Geld für die Projekte sei jetzt ohnehin schon komplett verfallen, aber wenn es zusätzlich auch noch mal gekürzt wird, dann ist es nicht mehr nur schlimm, sondern ganz, ganz schlimm und schlimmer als schlimm (ja, von 0 kann man normal nichts mehr subtrahieren, wenn die Radwege nicht von den Antichrist-Demokraten zurück gebaut werden, aber Mathe, Fakten und Logik waren uns ja bis hierher auch schon egal). Ich muss sagen, ich lebe seit dem Regierungswechsel nun auch in permanenter Angst, dass die demnächst auch noch die paar letzten verbleibenden Geh- und Radwege für den MIV freigeben und man dann auch auf Grünflächen und in Parks parkt: make parks into car parks.


    Ganz ehrlich: Wenn Journalisten nicht einmal mehr Mathe der Klassen 1-4 beherrschen und anwenden - geschweige denn kritisch denken und Daten und Fakten sinnvoll in einen Gesamtkontext einordnen - können, verdienen sie mE langsam auch nicht mehr diese Berufsbezeichnung. Und schlechte PISA-Ergebnisse von Grundschülern dürfen wir dann eigentlich auch nicht mehr skandalisieren. Diese sind faktisch ja wirklich skandalös, aber so etwas hier von vermeintlich gebildeten und meinungsbildenden Menschen ist mE schon nochmal eine andere Qualität: Das ist mE entweder dilettantisch oder - ebenso schlimm - gezielte Hofberichtserstattung aka Propaganda.


    Noch absurder wird es mE eigentlich nur noch, wenn selbst die eigene Verkehrsverwaltung brav weiter der Vorgängerregierung zu Munde redet und die Verzögerung durch die erneute Überprüfung als die oder eine entscheidende/ primäre Ursache für die schlechten Werte bemüht. (Im Schulbetrieb etwa darf sich vom kleinen Lehrer über Schulleitung bis hin zur Verwaltung niemand so kritisch öffentlich äußern - und was für fahrlässiger Müll da über Jahrzehnte vom Senat fabriziert wurde.....).

    Genau an dieser Stelle hätte mich dann doch wirklich mal brennend eine kritische Nachfrage nach der eigenen Bilanz der vorherigen FÜNF Jahre interessiert, wo man demnach ja keine vermeintlichen Bremser sondern Rückenwind pur an der Regierung hatte: Ist ja schon irgendwie seltsam, wenn dann der selbe Schnitt rauskommt. Klar brauchen einige Projekte erstmal planerischen Vorlauf, aber nicht alle so viel und selbst noch der Schnitt 2022 oder Januar bis April 2023 war ja auffällig schlecht, sodass ich den Mund an Stelle von Grünen und Verkehrsverwaltung absolut nicht so voll nehmen würde. Stolz kann da mE jedenfalls niemand drauf sein und WENN da mal jemand etwas genauer hingeschaut und nachgefragt hätte, dann wäre es mehr als nur peinlich geworden).


    P.S.: Zufällig gab es gerade auch ein große Verkehrsumfrage unter 15 großen Deutschen Städten.

    Die mE im obigen Kontext interessantesten Ergebnisse:

    - Berliner sind nach knapp 6,5 Jahren RRG/RGR sowie rund einem Dreivierteljahr Jahr schwarz-rot genau so zufrieden bzw. unzufrieden wie bei der letzten Runde 2017. Da der Rest Deutschlands parallel aber unzufriedener wurde, sprang man jedoch von Platz 13 auf Platz 6.

    - Fahrradfahrer identifizierten 3 Hauptärgernisse, die in folgender Reihenfolge genannt werden:

    1. E-Scooter (übrigens mW wohl 2019 als Pilotprojekt unter RGR eingeführt)

    2. Schlechter Zustand der Radwege (übrigens unter beiden Regierungen im nahezu identischen Tempo bearbeitet, s.o.)

    3. andere Fahrradfahrer und deren Fehlverhalten (also immerhin tauchen hier weder MIV noch Fußgänger als Hauptärgernis auf und auch Frau Schreiner und der restliche Senat haben es trotz steter Berichterstattung noch nicht mal aufs "Siegerpodest" geschafft)

    - Menschen werden bundesweit anspruchsvoller in Bezug auf den Verkehr, wobei Fußgänger und ÖPNV-Nutzer insgesamt am zufriedensten unterwegs sind, Fahrradfahrer zumindest eher zufrieden als unzufrieden und Autofahrer überwiegend eher unzufrieden; für Berlin stellt es sich auf einer Skala von -100 bis +100 wie folgt dar: Fußgänger +24, ÖPNV +24, Radfahrer +6 und MIV -11 sowie insgesamt +11 - also mE gar nicht so schlecht)

    Quelle Tagesspiegel

    Quelle rbb24

    Primärquelle ADAC