Görlitz
Da es im Deutschen Architektur-Forum bisher kaum Informationen zu Görlitz gibt, will ich einen eigenen Thread zu Görlitz eröffnen und gleich ein paar Eindrücke von meiner letzten Görlitz-Reise beisteuern.
Insgesamt fand ich es doch erstaunlich, wieviel in Görlitz doch saniert wird. Im Zentrum der Sanierungsaktivitäten steht dabei der Stadtteil Königshufen. Königshufen wurde von 1977 bis 1986 nach Entwürfen von Günter Püschel (Städtebau), Rochus Schrammek (Verkehr/Stadttechnik), Hans Prugger (Freiflächen) und D. Israel (Hochbau) erbaut und verfügte ursprünglich über knapp 6000 Wohnungen. Errichtet wurden fünfgeschossige Großblockbauten des Typs IW 64 „Brandenburg“, fünf- und sechsgeschossige Plattenbauten des Typs WBS 70 und sechsgeschossige Punkthäuser als Sonderlösungen in traditioneller Bauweise.
In Königshufen sind derzeit umfangreiche Baumaßnahmen im Gange, die nicht nur Sanierungen, sondern auch Teilrückbauten umfassen. Ein Projekt ist die Sanierung und der Umbau der Wohnblöcke Nordring 36-74. Den Ausgangspunkt bilden sechs unsanierte Wohnblöcke des Typs IW 64 „Brandenburg“ Die Bauarbeiten umfassen den Teilrückbau der Blöcke von fünf auf drei Geschosse, den Anbau eines Wärmedämm-Verbundsystems, den Anbau neuer Balkone, die Sanierung der Sanitär- /Elektroleitungen und die Sanierung der Innenräume. Außerdem erhält ein Teil der Wohnungen größere (raumhohe) Wohnzimmerfenster. Die Aufgänge Nordring 40 und 62 wurden komplett abgerissen. Diese Häuser bildeten eine Ecksituation und ließen sich daher vermutlich schwerer vermieten. Der Bauherr ist die Wohnungsbaugesellschaft Görlitz mbH (WBG), die Bauarbeiten sollen vom 31.3. bis zum 31.12.2012 laufen. Der Rückbau erfolgt im bewohnten Zustand, die Mieter müssen dann während der Abrissarbeiten an einem Tag von 7 bis 20 Uhr ihre Wohnungen verlassen. Hier gibt es ein paar Fotos:
Projekt 2 ist der Umbau der Wohnblöcke Alexander-Bolze-Hof 4-30. Bei diesem Gebäuden handelt es sich um unsanierte sechsgeschossige Plattenbauten des Typs WBS 70. Die Bauarbeiten umfassen einen Teilrückbau auf drei bis vier Geschosse, den Anbau eines Wärmedämm-Verbundsystems und die Sanierung der Innenräume. Auch in diesem Fall ist der Bauherr die WBG, und auch hier erfolgt im der Rückbau im bewohnten Zustand. Die Planung stammt von dem Görlitzer Büro Architektur Ingenieur Partnerschaft (AIP) Görlitz.
Ähnlich wie das vorhergehende Vorhaben ist das dritte Projekt. Hier geht es um den Teilrückbau und die Sanierung des Wohnblocks Lausitzer Straße 32-38. Der sechsgeschossige Wohnblock des Typs WBS 70 wird auf vier Geschosse zurückgebaut und saniert. Bauherr ist wieder die WBG.
Bereits fertig gestellt ist der Teilrückbau des WBS 70 - Blocks Wendel-Roskopf-Straße 8-14, der im letzten Jahr von der WBG auf drei Geschosse zurückgebaut wurde.
Die Wohnblöcke Nordring 82-100 wurden bereits 2010 zurückgebaut und saniert. In diesem Fall war der Bauherr die Wohnungsgenossenschaft Görlitz (WGG).
Aber auch Privateigentümer tragen zum Sanierungsgeschehen bei. Aktuell im Bau ist das Punkthaus Am Wiesengrund 28. Bei diesem Gebäude handelt es sich um einen altersgerechten Wohnblock, der in traditioneller Bauweise errichtet wurde und der über einen Aufzug verfügt. Daher wird es in diesem Fall keinen Teilrückbau, sondern nur eine energetische Sanierung geben.
Nähere Informationen zum Stadtumbau in Königshufen gab der Geschäftsführer der WBG, Arne Myckert, am letzten Mittwoch auf einem Kongress des Bundesbauministeriums. Demnach hätte es in der Görlitzer Stadtentwicklungspolitik in jüngster Zeit einen Paradigmenwechsel gegeben. Görlitz hat ja mit sinkenden Einwohnerzahlen und erheblichen Wohnungsleerständen zu kämpfen. Früher hatte die WBG auf diese Probleme mit Totalabrissen reagiert. Die Praxis hatte allerdings gezeigt, dass diese Totalabrisse mit erheblichen Nachteilen verbunden waren.
Erstens führten Totalabrisse zur Zerstörung städtebaulicher Strukturen.
Zweitens entsprachen Totalabriss nicht der realen Wohnungsnachfrage. In den fünf- und sechsgeschossigen Wohnbauten ohne Aufzug war die Lage so, dass die oberen Wohnungen leer standen, die unteren Wohnungen aber gut vermietet waren. Totalabrisse haben nicht nur die unbeliebten Wohnungen in den oberen Etagen, sondern auch die beliebten Wohnungen in den unteren Etagen beseitigt.
Drittens waren Totalabrisse mit erheblichen Aufwendungen für den Umzug der betroffenen Mieter verbunden. Trotz aller Bemühungen ist es der WBG nicht gelungen, alle Abrissmieter in Königshufen zu halten, weil viele Abrissmieter nicht bereit waren, in die angebotenen Ersatzwohnungen (die sich meist in den oberen Etagen befanden) zu ziehen.
Viertens führten die Totalabrisse zu einer Vernichtung von Bilanzwerten der WBG.
Folgerichtig sind sowohl die WBG als auch die WGG von der Strategie des Totalabrisses abgekommen. Stattdessen setzen beide Unternehmen jetzt auf den Teilrückbau und gemeinsame Umbaukonzepte. Der Teilrückbau ist zwar mit 250 Euro pro Quadratmeter teurer als der Totalabriss, der nur 50 Euro pro Quadratmeter abgerissener Wohnfläche kostet. Allerdings wäre der Teilrückbau langfristig gesehen nachhaltiger, weil es nur durch ihn gelingen würde, Königshufen nachhhaltig zu stabilisieren.
Nebenbei ging Myckert auch auf die Probleme in den Gründerzeitbeständen ein. Görlitz verfügt ja über große Gründerzeitbestände, die sich aber schwer vermieten lassen. Myckert illustrierte die Probleme am Beispiel der Sanierung des Gründerzeithauses Jochmannstraße 10a. Diese Sanierung geht auf einen Vertrag zwischen der WBG, der Stadtverwaltung und dem damaligen Regierungspräsidium Dresden aus dem Jahr 2007 zurück. Damals stellte die WBG den Antrag auf den Abriss von 12 leerstehenden, aber denkmalgeschützten Altbauten. Nach langen Verhandlungen bekam die WBG schließlich die Abrisse genehmigt, im Gegenzug musste sie sich allerdings zur Sanierung von drei denkmalgeschützten Altbauten (Elisabethstraße 23, Mittelstraße 14 und eben Jochmannstraße 10a) verpflichten.
Im Mai letzten Jahres wurde die Sanierung fertiggestellt. Die Vermietung der fünf sanierten Wohnungen gestaltete sich allerdings extrem schwierig. Erst vor kurzem konnte die WBG drei Mietverträge unterschreiben.
Auch nach meinem Eindruck gibt es gerade in den Gründerzeitquartieren extrem viel Leerstand, und das, obwohl schätzungsweise 80 Prozent aller Häuser saniert sind. Einige sanierte Häuser stehen sogar komplett leer. An vielen Häusern sind Vermietungsschilder zu finden.
Alle Fotos: Klarenbach