Potsdam: Wiederherstellung der historischen Innenstadt (Projekte)

  • Eine Lösung hätte halt auch seien können, hochwertig modern zu bauen und nicht an jeder Ecke der Innenstadt um Rekonstruktionen zu ringen, was die Sache sicher nicht beschleunigt hat.


    Für mich ist immer noch der gravierendste Punkt, dass man nicht wirklich eine Verwendung hat, für noch mehr historisierende Gebäude. Ich finde auch, dass die Stadt dadurch ab einem gewissen Punkt, nicht mal mehr schöner wird.

    Man kann in Potsdam wirklich lange durch schöne alte Straßen, Gassen und über Plätze laufen, aber oft wirkt es auf mich nur wie eine Kulisse, z.B am Neuen Markt.


    Das kann dann auch m.E. eine große Enttäuschung werden, wenn das was jetzt geplant und gebaut wird irgendwann endlich fertig ist, aber sich dadurch dennoch keine völlige Zufriedenheit einstellt.

  • @ Baukörper


    ich denke wir wissen mittlerweile, dass du gegen weitere Rekos bist, es macht wenig Sinn, das in jedem Beitrag immer und immer wieder kund zu tun.


    Trotzdem nutze ich den Aanlass, um wie auch beim Berliner Schloss auch nochmals auf die Genese des Potsdamer Stadtschlosses hinzuweisen. Denn bevor es zur Reko kam, sollte es eigentlich nur zu einer Reko des Fortunaportals, der Kopfbautenn zum Alten Markt und den Verbindungsflügeln zwischen Portal und Kopfbauten kommen. Es war also eine moderne Lösung für den Landtag ausgeschrieben. Und es gab auch Ergebnisse, die aber nie veröffentlicht wurden und bis heute irgendwo in einem Tresor der Landtagsverwaltung liegen, weil die Ergebnisse vermutlich so übel und inspirationslos waren, dass nicht mal die Rekogegner von damals sich trauten, dies auch nur der Öffentlichkeit vorzustellen. Und dann kam in einer fast Nacht-und Nebelaktion Herr Plattner und hat so einigen Herren den Arsch gerettet. Und dann ging plötzlich alles ganz schnell mit der Reko.


    Denn wie beim Potsdamer Schloss gab es ja auch beim Berliner Schloss zahllose Workshops und Ideenswettbererbe. Kein einziges modernes Konzept hat überzeugt. Denn wenn es diese fantastischen modernen Alternativen gegeben hätte, dann wären sie auch gebaut worden. Denn zumindst mir geht es so, dass ich doch keine Reko um der Reko willen haben will. Ich würde mich total freuen, wenn aktuelle Architekten Lösungen anbieten würden, die Rekos obsolet machen würden. Letztlich ist die Rekobewegung ja nur so stark geworden, weil die Moderne eben oftmals kein überzeugendes Angebot liefert. Denn der Mensch ist eigentlich ein progressives Wesen. Ich sehe den Rückgriff auf Vergangenes meistens nur als letzten Schritt, wenn es keine anderen überzeugenden Lösungen gibt. Wobei man in Deutschland hier natürlich aufgrund der massiven Zerstörungen weitere Begründungen anführen muss, aber das würde jetzt zu weit führen.


    Zudem muss man im Potsdamer Fall bedenken, dass seit 1990 unzählige Male die Rückkehr zum alten Stadtgrundriss und auch die Entscheidung, wichtige Gebäude zu rekonstruieren, von allen Ratsfraktionen außer den Anderen zigfach beschlossen wurde. Es gehört zu einer Demokratie dazu, diese breite demokratische Legitimation auch endlich mal zu respektieren. Das große Problem ist aber, dass selbst die Politiker ihre eigenen Entscheidungen nicht umsetzen oder vor einer relativ kleinen aber lauten Gruppe zurückschrecken. Diese defensive Grundhaltung des eigentlichen Souveräns hat doch erst in das Schlamassel geführt. Denn man hat gemerkt, dass man nicht standhaft ist und wenn man nur genug Lärm macht, dann ist auch substanziell etwas zu holen. Was man hier als Bürgerdialog sich selbst schönredet, ist doch in Wahrheit eine eklatante exekutive Schwäche. Wozu braucht es ein Parlament, wenn es nicht in der Lage ist, in 30 Jahren die eigenen Beschlüsse durchzusetzen?


    In der Summe bleibt, dass es also ein über 30 Jahre immer wieder bestätigtes Konzept zur historischen Mitte gibt, das von fast allen Parteien getragen wurde. Und es bleibt auch, dass moderne Experimente in den 30 Jahren hier niemanden überzeugen konnten und nie eine echte Alternative darstellten. Und ich finde es ehrlich gesagt schwach, dass es immer die gleichen Leute sind, die beklagen, dass die Moderne keine Chance erhalten würde. Wenn ich durch die deutschen Innenstädte gehe, hat sie viel zu viele Chancen kläglich verspielt. Was passiert, wenn man der Moderne ihre Chancen frei lässt, kann man am Wiener Platz oder am Postplatz in Dresden aktuell wieder in real life sehen. Und wenn man sich das real vergegenwärtigt hat, weiß man, warum Menschen dann im Zweifel lieber die Rekos nehmen, als sich die nächste Bettenburg mit Dämmpappe ins Herz ihrer Stadt setzen zu lassen, in denen dann die immer gleichen Ketten mit den immer gleichen Produkten hocken!

    Einmal editiert, zuletzt von Odysseus ()

  • Das Leitbautenkonzept in Potsdam, das auch die Rekonstruktion der gezeigten Ecke vorsieht, wurde mit der Mehrheit von SPD, CDU, Grünen, FDP, Bürgerbündnis und Linken beschlossen. dazu gehören viele Verabredungen, sonst wäre eine solche Mehrheit von fast 90 % nicht öglich gewesen. Klar, kann man auch mit solchen Kompromissen nicht zufrieden sein wie Baukörper, relevant ist das ist Potsdam aber nicht.


    Die langen Bauzeiten haben nichts mit dem OB oder anderen politischen Fragen zu tun sondern mit den Bauträgern, die immer schwerer geeignete Firmen zur Umsetzung finden. Die vergebenen Häuser aus dem Block III gehen im nächsten Frühjahr in den Bau - da ist ja noch erheblich umgeplant worden, vor allem bei den TG.

  • Odysseus: Ich habe momentan leider nicht die Zeit auf deinen Beitrag ausführlich einzugehen, aber allein Deine Ausführungen zur Demokratie lassen mich an Deiner Aufrichtigkeit stark zweifeln. Vergleiche mal Deine hier geäußerte Demokratieskepsis mit Deinen Äußerungen zum Freiheits- und Einheitsdenkma lin Berlin.
    Das was Du beim Potsdamer Beispiel bemängelst, ignorierst Du beim Berliner Beispiel völlig.


    Außerdem profitieren alle aktuellen Rekos davon, dass sie eigentlich nagelneue moderne Gebäude mit historisierender Fassade sind, wobei alle alten Unzulänglichkeiten beseitigt wurden und dann stehen viel Fans begeistert davor und glauben wirklich, es hätte auch original im Detail so ausgesehen. Leider erreicht keine Reko die Ausstrahlung eines Originals, am ehehsten finde ich, noch das Berliner Schloss, einfach wegen der Hochwertigkeit und aufgrund seiner enormen Wirkung auf sein Umfeld.


    Gerade bei der enormen Anzahl original erhaltener Gebäude in Potsdam, hätte ich lieber zeitgemäße Gebäude gesehen.

    Das man das Potsdamer Stadtschloss wiederaufbaut oder eine Lücke mit einer Reko schließt, geschenkt, aber dann auch noch meherere profane Straßenzüge. obwohl es zig originale davon gibt, das halte ich für einen Fehler!

  • Ich kann die Kritik an angeblich "historisierenden Fassaden" nicht verstehen - wo soll das denn so sein? Die Paläste Barberini, Pompei, das Fortunaportal und auch die in der Umsetzung befindlichen Bauten Palast Valmarana und das Klingnersche Haus kommen mit originalgetreuer Fassade - da wird nicht "historisiert". Auch beim Stadtschloß ist die Fassade originalgetreu mit modernen Zusätzen, aber nicht "historisierend". Daß die Bauten "nagelneu" sind liegt in der Natur der Sache, der verwendete Sandstein aber hat das gleiche Alter wie das Original.


    "Historisierend" ist doch, wenn man etwas im Stil der Vergangenheit neu erfindet - das trifft doch nur für die Lkw-Einfahrt des Barberini zu. Was soll denn sonst "historisierend" sein?

  • Gerade bei der enormen Anzahl original erhaltener Gebäude in Potsdam, hätte ich lieber zeitgemäße Gebäude gesehen.

    Das man das Potsdamer Stadtschloss wiederaufbaut oder eine Lücke mit einer Reko schließt, geschenkt, aber dann auch noch meherere profane Straßenzüge. obwohl es zig originale davon gibt, das halte ich für einen Fehler!

    Der von dir als "mehrere profane Straßenzüge" bezeichnete Bereich befindet sich im direkten Umfeld von "Am Alten Markt", dieser bildet nunmal den Kern der Altstadt.

    Die zu bebauenden Bereiche umschließen den alten Markt noch nichtmal und östlich wird er weiterhin von zwei Plattenbauten begrenzt bleiben mit anschließendem Plattenbaugebiet. Wie gesagt, wir reden beim alten Markt und auch vom Bereich um die Burgstraße vom Kern der Altstadt.


    Übrigens wird natürlich auch in Potsdam nicht die komplette Altstadt rekonstruiert, noch nichtmal irgendwelche "profane Straßenzüge".

    Bei den "Rekos" handelt es sich lediglich um eine handvoll Leitbauten, nicht mehr und nicht weniger, mit einer Mehrzahl an modernen Gebäuden dazwischen.

    So sieht der (ein) Kompromiss halt aus den du natürlich (wie schon von Konstantin richtig bemerkt) nicht akzeptieren magst.


    Aber eine Frage hätte ich dann doch noch an dich...

    ...was meist du eigentlich mit "zeitgemäße Gebäude", wo doch der überwiegende Teil aus (auch von Außen) modern gestalteten Gebäuden bestehen wird?



    Gruß, Jockel

  • Bei den "Rekos" handelt es sich lediglich um eine handvoll Leitbauten, nicht mehr und nicht weniger, mit einer Mehrzahl an modernen Gebäuden dazwischen.


    So ist es. Allein die Gegend um den Hbf, der Lobby Potsdams, ist mit anspruchslosen modernistischen Allerweltsbauten zugestellt. Wer einmal auf der Nokalaikirche im Zentrum stehend einen Ausblick auf die Stadtlandschaft gewinnen konnte wird feststellen müssen, dass Potsdams Innenstadt von zahlreichen Plattenbausiedlungen umgeben ist. Das ist das eigentlich dunkle / triste Geheimnis der Stadt.


    Auch zur deprimierenden Wahrheit gehört, dass weder das Schloss Sanssouci noch das Museum Barberini oder andere klassische Gebäude Potsdam wirklich prägen. Das mit Abstand zentralste, sichtbarste, höchste und deshalb dominanteste Gebäude ist der sehr hässliche Plattenbauturm des Hotel Mercure. Bevor der nicht weg ist wird Potsdam nie die Ausstrahlung von Heidelberg, Dresden oder Florenz erlangen können. Das Mercure ist wie ein schmerzhafter DDR Stachel im Fleische des ehemals wunderbaren Potsdams.

  • ^ Das Mercure ist kein Plattenbau und der Schlaatz, Am Stern und die Waldstadt sind keine "dunklen Geheimnisse", sondern Lebensraum für einen großen Teil der Potsdamer Bevölkerung.

  • Allein die Gegend um den Hbf, der Lobby Potsdams, ist mit anspruchslosen modernistischen Allerweltsbauten zugestellt. Wer einmal auf der Nokalaikirche im Zentrum stehend einen Ausblick auf die Stadtlandschaft gewinnen konnte wird feststellen müssen, dass Potsdams Innenstadt von zahlreichen Plattenbausiedlungen umgeben ist.

    Allerdings bezieht sich der von dir zitierte Satz sowie mein gesamter Beitrag lediglich auf den jetzt neu zubebauenden Bereich am Alten Markt bzw. den Kern der Altstadt. Deshalb schrieb ich "dazwischen" und nicht "drumherum".

    Andere Gebiete der Innenstadt wären ein Thema für sich und sind in meinem Beitrag nicht gemeint.



    Gruß, Jockel

  • ^ Das Mercure ist kein Plattenbau und der Schlaatz, Am Stern und die Waldstadt sind keine "dunklen Geheimnisse", sondern Lebensraum für einen großen Teil der Potsdamer Bevölkerung.

    So, nachdem ich als begeisterter Architekturfan hier schon einige Jahre mitgelesen habe, möchte ich mich jetzt doch mal zu Wort melden und habe mich daher endlich registriert. Hallo :)


    Ich bin ein Ur-Potsdamer und war einige Zeit im politischen Raum tätig. Nicht zuletzt deswegen habe ich die Diskussionen um Wiederaufbau/ Rekonstruktion der Innenstadt sehr genau mitverfolgt. Trotz meiner Tätigkeit habe ich aber immer versucht, die pro/ contra Argumente abzuwägen und mir meine eigene Meinung zu bilden. Darüber hinaus tausche ich mich auch immer gerne bei Gelegenheit mit Architekten aus, da mich die „Expertenmeinung“ ebenfalls sehr interessiert.


    Jetzt zum eigentlichen Thema:

    Das angeführte Zitat kann ich nur fett unterstreichen und trifft für mich einen Nerv. Denn auch ich empfinde es als teilweise überheblich und fern jeglicher Lebensrealität, die sog. „Platte“ oder andere DDR-Bauten möglichst vollständig aus dem Potsdamer Stadtbild zu entfernen.
    Bitte versteht mich nicht falsch. Über Ästhetik kann man sich streiten, da sie ja subjektiv geprägt ist. Soll heißen, einige Gebäude aus der Zeit der DDR treffen auch meinen eigenen Geschmack nicht. Trotzdem finde ich es furchtbar arrogant, dass diese Bauwerke in den Augen einiger Forenmitglieder ihre Existenzberechtigung verloren haben, nur weil sie nicht ihren ästhetischen Ansprüchen genügen. Dabei gehören diese Gebäude doch genauso zur Geschichte der Stadt, wie auch die existierenden Gebäude aus der Vorkriegszeit. Ich habe das Gefühl, dass in meiner Heimatstadt ähnliche ideologische Diskussionen geführt werden wie in Berlin, nur unter umgekehrten Vorzeichen.
    Manchmal bin ich mir nicht mal sicher, ob der gleiche Wirbel auch um Bauwerke aus der NS-Zeit gemacht wird!? Auf jeden Fall habe ich oft das Gefühl, dass da mit zweierlei Maß gemessen wird.

    Nichtsdestotrotz bin ich mittlerweile auch froh, dass in Potsdam das Stadtschloss (mein alter Arbeitsort) und die anderen Gebäude an der Alten Fahrt realisiert wurden. Allerdings wurden für dieses Gebäudeensemble keine existierenden Gebäude abgerissen. Und dieser Fakt sollte aus meiner Sicht eigentlich grundsätzlich ein entscheidendes Kriterium bei der Sanierung und Rekonstruktion der historischen Mitte sein.


    Ich habe ein Zitat des renommierten Kölner Architekturhistorikers Wolfgang Pehnt gefunden, das in meinen Augen eine Brücke zwischen den Kritikern und Befürwortern der historischen Rekonstruktion (nicht nur in Potsdam) schlägt:

    Wenn man rekonstruieren will, dann müssen für mich fünf Kriterien erfüllt sein. Erstens müssen zuverlässige Baupläne vorliegen. Zweitens muss der Bau am selben Standort errichtet werden wie der Vorgängerbau. Drittens dürfte die Geschichte nicht über diesen Bauplatz hinweggegangen sein, er muss also unbebaut geblieben sein. Viertens muss noch genug historische Bausubstanz vorhanden sein, die das künftige Gebäude sozusagen beglaubigt, es durchdringt wie der Sauerteig das Brot. Fünftens müsste die neue Nutzung verträglich sein mit dem Charakter des zu rekonstruierenden Gebäudes.

  • Ich habe absichtlich den Begriff "historisierend" verwendet, da ich originalgetreu selbst beim Berliner Schloss für anmaßend halte. Das war im Original eine jahrhunderte alte Fassade mit entsprecheden Spuren, die nun bei der Rekonstruktion selbstredend verschwunden sind. Vielleicht könnte man aber auch "dem Original nahe kommend" sagen, um einen Kompromiss zu finden. Originalgetreu sind doch eher nur Teile (beim Berliner Schloss z.B. die Kuppel) aber m.E. nie die ganze Fassade. Aber da gibt es ja auch viel individuelle Interpretation, wie z.B. die unterschiedlichen Ansichten zu den beiden "Liebknecht-Portalen" zeigen.


    Und so sehe ich es halt auch bei den Leitbauten in Potsdams historischer Mitte.

  • Aber das hat doch nichts mit Meinung, "Kompromiß" oder "so sehen" zu tun, sondern ist sachlich falsch: eine Rekonstruktion, die in Maßstab, Profil und Material identisch ist ist nicht "historisierend", weil sie die Patina des Hausbrandes der letzten 200 Jahre nicht hat. Den hatte im übrigen das jeweilige Original zu seiner Entstehungszeit auch nicht, sondern die Patina ist eine mit dem Verprechen nach Autentizität verbundene Illusion des 20. Jahrhunderts.


    Der Begriff "historisierend" meint eine Erfindung eines Gebäudes in einem historisch vergangenen Stil - und das ist bei den Potsdamer Leitbauten bzw. -Fassaden nunmal nicht der Fall. Das ist dasselbe, wie die vorsätzlich-pejorativ gemeinte Verwendung des Begriffes Disneyland für denkmalgerechte Rekonstruktionen: in Disneyland wurden Fantasiegebäude errichtet, die es nie gegeben hat. Die Rekonstruktionen, gegen die dieses Schlagwort angewendet wird, sind aber allesamt keine Fantasiegebäude sondern in der Regel Wiederholung originaler Bauten nach existierenden Bauplänen und/oder exakten Aufmaßen.


    Du kannst ja bei deiner ablehnenden Haltung zu Rekonstruktionen bleiben, ich bitte doch darum keine sachlich unrichtigen Begrifflichkeiten einzuführen, die etwas suggerieren, was nicht geschehen ist. Argumente gegen Wiederholungen gibt es ja genug.

  • Lieber Antilles, erst mal herzlich Willkommen im Forum. Ich möchte gerne auf einige Punkte deines Beitrags eingehen.

    Denn auch ich empfinde es als teilweise überheblich und fern jeglicher Lebensrealität, die sog. „Platte“ oder andere DDR-Bauten möglichst vollständig aus dem Potsdamer Stadtbild zu entfernen.

    Zunächst einmal will niemand hier die Platte oder andere DDR-Bauten vollständig aus dem Stadtbild entfernen. Dies wäre auch kaum bis gar nicht möglich, weil es allein rund um die Havelbucht so viele davon gibt, dass dies angesichts der aktuellen Mietpreisentwicklug gar nicht möglich ist. Denn klar muss auch sein, dass die Menschen in den Wohnungen vor ästhetischen Erwägungen stehen und es immer ein soziales Miteinander geben muss. Daher kann es auch keinen Stadtumbau gegen die Menschen sondern nur mit den Menschen geben. Was ich etwas schwierig finde, ist die Tatsache, dass man sich mittlerweile einen etwas merkwürdigen Bedeutungszusammenhang selbst konstruiert hat. Nämlich Platte ist gleich DDR ist gleich Identität.


    Aus dieser Kausalität ergeben sich einige massive Probleme. Erstens ist die Platte und die damit einhergehende Optik der entsprechenden Bauten gar keine ostdeutsche Singularität, denn die gleiche Art von Bauten gibt es in der BRD auch. Konstruktiv mögen sie vielleicht etwas anders sein, optisch ist es aber das gleiche. Diese Bauten aber jetzt als Alleinstellungsmerkmal zu markieren und diesem identitätsstiftende Fähigkeiten zuzuschreiben, halte ich für sehr problematisch, weil es emotionalisiert und eine rationale Debatte über diese Bauten extrem schwierig macht.


    Denn viele dieser Bauten erreichen in Ost wie in West gerade das Ende ihres Lebenszyklus. Viele dieser Bauten sind aufgrund ihrer Konstruktion nur sehr aufwendig zu sanieren oder schwer energetisch aufzurüsten. Ich fände es viel wichtiger, man führt eine wissenschaftlich gestützte Debatte über diese Bauten und deren Zukunftsfähigkeit, als diese mit emotionalen Werten aufzuladen und damit letztlich zu einer extrem aufgeladenen Grundstimmung beizutragen.


    Über Ästhetik kann man sich streiten, da sie ja subjektiv geprägt ist. Soll heißen, einige Gebäude aus der Zeit der DDR treffen auch meinen eigenen Geschmack nicht. Trotzdem finde ich es furchtbar arrogant, dass diese Bauwerke in den Augen einiger Forenmitglieder ihre Existenzberechtigung verloren haben, nur weil sie nicht ihren ästhetischen Ansprüchen genügen.

    Ich finde, man kann es sich nicht so leicht machen. Die Attraktivität von Stadtraum, die Urbanität und die Lebensqualität wird auch zentral von der Optik der Städte mit gestaltet. Sie ist nicht der einzige Faktor, ob wir einen Ort als lebenswert empfinden, aber ein sehr gewichtiger. Es hat durchaus seine Gründe, warum Städte wie Wien, Florenz oder Barcelona regelmäßig als besonders lebenswert über sämtliche Kulturgrenzen hinweg empfunden werden und Städte wie Essen, Dortmund oder Chemnitz eher nicht. Ästhetik ist ein wichtiger Faktor, nicht umsonst gilt Architektur als die vierte große Kunstform. Daher sollten wir uns, wenn möglich, eben um eine lebenswerte und urbane Stadtlandschaft bemühen, das ist zumindest meine Meinung.


    Dabei gehören diese Gebäude doch genauso zur Geschichte der Stadt, wie auch die existierenden Gebäude aus der Vorkriegszeit.

    Ja, gehören sie auch, aber wenn wir so argumentiren, kommen wir nicht umhin, auch darüber zu sprechen, warum diese Bauten heute an diesen Orten stehen und warum überhaupt über einen Abriss diskutiert wird. Denn wenn man beginnt, auf diese Weise moralisch zu argumentieren, dann muss man fair sein und darf bei der Bewertung nicht die halbe Geschichte einfach weglassen. Das Stadtschloss, der Alte Markt, die Garnisonkirche, die Breite Straße, also das alte Herz Potsdams gehören auch zur Geschichte der Stadt. Und vieles war selbst nach dem Krieg noch vorhanden und wäre ohne Probleme zu retten gewesen. Hätte man ihre moralischen Grundsätze angelegt, dürfte es Bauten wie das Rechenzentrum, die FH, den Staudenhof oder ehemalige Bauten wie das Haus des Reisens etc. in der Mitte Potsdams gar nicht geben. Man hat sich damals dazu entschieden, ganz bewusst ganze Zeitschichten aus dem Stadtbild Potsdams zu tilgen, aus rein ideologischen Gründen.


    Ich finde es dann moralisch extrem schwierig, wenn Menschen heute kommen und auf den Fortbestand dieser Bauten im Zentrum (denn nur um diese geht es ja, keiner will ganze Plattenviertel in den Vororten abreißen) drängen und dies dann über moralische Argument tun. Ich finde, kein Anhänger dieser Bauten hat das Recht dazu, diese Karte zu spielen, weil die Existenz dieser Bauten rein aufgrund höchst amoralischem Verhalten beruht.


    Ich bin der Meinung, wenn man sich die Geschichte, die Bedeutung der Bauten und die ästhetische Komponente aber auch die moralische Seite anschaut, dann hat das Stadtschloss, dann hat die Kommandantur, dann hat das Barberini eine andere Wertigkeit, eine andere historische Dimension, eine höhere Existenzbereichtigung als einige Bauten aus DDR-Zeiten, die weder kunsthistorisch besonders herausragend waren, noch eine wirklichen städtebaulichen und ästhetischen Mehrwert bieten. Viele dieser Bauten waren gebaut worden, um das Gedächtnis an das historische Potsdam bewusst auszulöschen. Vor diesem Hintergrund ist eine Reko einiger wichtiger Bauten im Mix mit modernen Interpretationen und mit Erinnerungen an die DDR Bauten aus meiner Sicht der richtigere Weg.

    5 Mal editiert, zuletzt von Odysseus ()

  • Lieber Odysseus, vielen Dank für deine umfangreiche Antwort, die aus meiner Sicht viele nachdenkenswerte Punkte beinhaltet.

    Ich kann die von dir angesprochenen Punkte tatsächlich erkenntnisgewinnend bejahen und möchte nur auf eine Sache eingehen.


    Ich würde dir auf jeden Fall Recht geben, wenn du mir unterstellst, dass ich mich in meinem Beitrag zu einer gewissen Emotionalität hinreißen habe lassen. Zur Entschuldigung: Es gibt hier Forenschreiber die mindestens auf eine ähnliche Weise gegen den Erhalt der DDR-Bauten argumentieren oder dem aktuellen Bürgermeister unterstellen, dass er in Hinblick auf die weitere Stadtentwicklung zu wenig Weitsicht/ Stil hätte. Die ganze Kritik wird dann nur noch in ein paar schicke Worthülsen verpackt. Diese Haltung finde ich nicht nur verstörend sondern leider auch überheblich.


    Ich möchte aber nicht weiter abschweifen. Deine Ausführungen hinsichtlich der Sanierung der in die Jahre gekommen DDR-Bauten sind definitiv nicht von der Hand zu weisen. Insofern ist es folgerichtig, bei der weiteren Stadtentwicklung auch darüber nachzudenken, inwiefern nicht Gebäude, die vor dem Krieg an derselben Stelle standen, wieder zu rekonstruieren. Aber wäre es nicht auch spannend, auch mal mit etwas Mut architektonisch neues zu wagen, anstatt nur alte Gebäude wiederauferstehen zu lassen? Schließlich hat doch jede Zeit ihre Berechtigung und sollte auch architektonisch einen Stempel hinterlassen. Ich bin mir natürlich dessen bewusst, dass sich keine kompletten neuen Viertel mit anspruchsvoller moderner Architektur füllen lassen. Das Negativbeispiel sehe ich jeden Tag rund um den Berliner Hbf. Aber wenn Mandatsträger und Verwaltung in Hinblick auf die Stadtentwicklung mutig denken und innovativ planen würden, hätte Potsdam vielleicht noch ein paar architektonische Juwelen mehr vorzuweisen.

    Unabhängig von "wünsch-dir-was"- Gedanken (und den leicht zunehmenden Verkehrsproblemen) bin ich aber sehr zufrieden mit meiner Heimatstadt und auch ein bisschen stolz hier leben zu dürfen.


    Ich wünsche euch einen guten Start in die neue Woche.


    Gruß

    Antilles

  • @ Antilles


    erst einmal vielen Dank für dein Feedback und deine selbstreflektierte Art. Dies ist eine Bereicherung für dieses Forum.


    Ich möchte meinen Beitrag nutzen, um vielleicht noch einmal einige für mich wichtige Gedankengänge klar zu machen, die in der Bewertung manchmal nicht genug kenntlich gemacht werden.


    Ja, ich bin ein Anhänger von Rekonstruktionen in bestimmten Bereichen von Innenstädten, die aufgrund massiver Kriegsschäden und nachkriegsbedingten Entscheidungen massive Verluste im kulturellen Bestand hinnehmen mussten, die in Teilen identitätsstiftend für die jeweiligen Städte waren und dies teils über Jahrhunderte. Diesen Einsatz für Kulturdenkmäler möchte ich aber nicht verstanden wissen als Einsatz gegen Menschen oder deren subjektive Erinnerungen. Ich möchte niemandem, der im Mercure seinen Geburtstag befeiert hat oder an der FH studiert hat, seine subjektiven Erinnerungen daran nehmen. Und ich möchte auch nicht, dass man den Abriss einzelner Bauten, denn es geht hier ja nicht um Flächenabrisse, sondern um relativ kleine Areale, als Angriff auf die Identität und das eigene Selbst sieht.

    Für mich ist die Frage, was man wann und wie rekonstruieren sollte, eine Entscheidung, die man ganz im Einzelfall sehen muss. Ich finde es extrem schade, dass die Entscheidungsträger der DDR ihre Aufgabe nicht darin gesehen haben, Städte weiter zu bauen und die Städte um ihre Ideen zu ergänzen, sondern dass man in einigen Städten sehr viel Energie darauf verwendet hat, mit eigenen Symbolbauten eben genau die Wirkung der vorher dort stehenden Bauten zu überragen und damit Teile von Geschichte zu überdecken. Dies ist in Berlin passiert, aber auch in Potsdam. Die führt leider dazu, dass sich auch eigentlich erhaltungswürdige Architektur der DDR-Zeit einem in Teilen sehr schwierigen Abwägungsprozess stellen muss.


    Ein ganz extremes Beispiel ist der Palast der Republik. Man hatte die Entscheidung zu treffen, ob man den Palast erhält oder das Schloss rekonstruiert. Für mich war der Palast der Republik einer der besten modernen Bauten der DDR, hinzu kommt, dass er einen wichtigen Teil der Geschichte der DDR als Ganzes repräsentiert hat. Auf der anderen Seite haben wir dann aber das Berliner Schloss, das über Jahrhunderte an diesem Ort stand, das kunsthistorisch extrem bedeutend war, was Jahrhunderte an deutscher Geschichte nicht nur baulich, sondern auch symbolisch repräsentiert hat. Man konnte den Aufsiegg Preußens auch baulich in diesem einen Bau nachvollziehen. Dies dann abzuwägen, ist unglaublich schwierig. In der Nachbetrachtung muss ich sagen, dass man aus meiner Sicht die richtige Entscheidung getroffen hat, denn wenn man alles auf die Waagschale wirft, bringt aus meiner Sicht das Stadtschloss mehr Gewicht auf die Waage. Nichtsdestotrotz hätte ich mir z.B. im Falle des Palastes der Republik eine Translokation an einen anderen Ort vorstellen können, um das Gedächtnis an diesen Bau trotzdem zu erhalten. Es ist das Drama der DDR-Architektur, dass die wenigen wirklich herausragenden Bauten leider oft so platziert wurden, dass sie dort gebaut wurden, wo man bewusste Stadtstruktur umdeuten wollte. Hätte man Stadt als Ergänzung gedacht und sich damals für ein Miteinander mit der Historie entschieden anstatt ein Gegeneinander, den Palast würde es heute vermutlich noch geben.


    In der Potsdamer Mitte ist dieser Abwägungsprozess aus meiner Sicht etwas einfacher, weil die hier stehenden Bauten weit weniger bedeutend sind. Sie sind weder kunsthistorisch von Wert noch haben sie historischen Wert in der Hinsicht, dass hier wichtige Ereignisse der DDR-Historie stattfanden. In der Summe sind der Staudenhof, das Rechenzentrum, das ehemalige Haus des Reisens, das Mercure und auch die ehemalige FH durchschnittliche Bauten der Nachkriegsmoderne. Daher finde ich den Schritt, die wertvollen Teile wie die Mosaike aus dem Rechenzentrum oder Teile der Verkleidung der FH auszubauen und in Neubauten zu integrieren, einen sehr respektvollen Schritt um in der neuen Mitte auch jene Akzente der DDR-Moderne zu erhalten, die einen nachvollziehbaren Wert haben.


    Dein Einwurf, dass man der heutigen Architektur seine Chance geben sollte, kann ich durchaus prinzipiell teilen, aber man sollte dann auch auf den sensiblen Baugrund hinweisen, wo diese Architekten dann planen. Man muss leider sagen, dass in der Vergangenheit viele Architekten an diesen anspruchsvollen Bauaufgaben leider gescheitert sind. Daher fand ich das jetzige Konzept aus 5 Rekonstruktionen als Leitbauten und den restlichen Grundstücken, auf denen neu geplant wird, genau richtig. Denn man hat das Gefühl, alles in der Mitte wird rekonstruiert, aber dem ist ja gar nicht so. Es gibt neben dem Schloss nicht mal 10 Rekos, was die umgebenden Bürgerhäuser angeht. Alles andere wird ja modern. Daher kann ich den Vorwurf, heutige Architekten hätten hier keine Chance, nicht so ganz verstehen. Sie haben ja ihre Chance bekommen und ich muss sagen, dass auch viele annehmbare Ergebnisse dabei herausgekommen sind.


    In der Summe liegt das Problem auch etwas darin, dass man leider seit einigen Jahren nur noch emotional über die Mitte diskutiert und nur noch sehr wenig rational. Und ich möchte auch einmal darauf hinweisen, dass es über viele Jahre eigentlich ein sehr friedlicher und konsensorientierter Diskussionsverlauf war. Alle Entscheidungen zur Mitte, die grundsätzliche Frage betrafen, wurden bis weit ins linke Lager von einer fast Allparteienkoalition beschlossen, in der auch die damalige Rathauskooperation immer über die eigenen Mehrheiten hinaus bemüht war, auch Parteien darüber hinaus einzubinden. Zu solch einem Prozess gehört dann aber auch, dass sich auch Gruppen, die außerhalb des Parteiensektors spielen, sich gleichermaßen an Absprachen und grundsätzliche Werte des Miteinanders halten. Letztlich ist viel an Gemeinsamkeiten deshalb auf der Strecke geblieben, weil irgendwann bestimmte Gruppen sich nicht mehr an diesen Konsens halten wollten. So war z.B. immer klar, dass das Rechenzentrum nur auf Zeit genutzt werden kann. Ich fand dies für die Kreativszene damals einen sehr wichtigen Schritt, dass man ihnen die Möglichkeit gegeben hat, mitten in Potsdam Präsenz zu zeigen. Ich finde es extrem schade, dass dieses gute Ansinnen jetzt so gekippt ist und dass man sich, obwohl man nun sogar einen Ersatz in bester Lage bekommt, an keine Absprachen hält und das Rad der Eskalation immer weiter dreht. Ich finde es schade für die Kreativen, denen es wirklich um ihren Beruf geht und sehr schade um die Diskussionskultur in der Stadt. Denn seitdem ist irgendwie alles vergiftet und man diskutiert so viel emotional anstatt nach wirklichen Lösungen zu suchen, wie man demokratische Entscheidungen der letzten 30 Jahre umsetzen kann, dabei aber trotzdem möglichst viele Interessen und Bedürfnisse, auch nach Erhalt der baulichen Identität aus der DDR-Zeit, unter einen Hut bekommt.


    Herr Plattner hat mit dem Minsk einen extrem wichtigen Beitrag zur Aussöhnung geleistet, dass er hier sogar Kunst aus der DDR zeigt, ist doch auch Respekt vor der Lebensleistung und den kulturellen Errungenschaften der damaligen Zeit. Ich denke, wenn alle wollen, kann man beides erreichen. Das historische Herz Potsdams wieder erlebbar machen und trotzdem Respekt vor den Lebensleistungen vieler ehemaliger DDR-Bewohner Potsdams aufbringen und hier gezielt in vielen Projekten Lösungen suchen, wie dies gelingen kann. Dies geht aber meiner Meinung nach nur, wenn man fair spielt und sich an Absprachen hält. Denn dann ist auch die andere Seite bereit etwas zurück zu geben. Nur so, wie es jetzt ist, wird Respekt eher zerstört. Und zwar nicht durch den Abriss einzelner Gebäude, sondern durch den Umgang miteinander.

    Einmal editiert, zuletzt von Odysseus ()

  • Ich mag ja historische Fassaden, aber dass ganz Potsdam umgebaut wird ist nicht logisch. Wenn nur noch alles Fake- "historisch" ist, ist es doch unauthentisch und langweilig mit der Zeit. Sehr unwürdig was entsteht, denn lebenswert ist anders. Ich saß diesen Sommer in einem Cafe und empfing es als "sterill" und kalt.

  • Die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Laut dem Leitbautenkonzept werden von den insgesamt 29 Gebäuden auf dem ehem. FH-Gelände 23 in moderner Form und 6 in traditioneller Form entstehen. Und von den 6 Gebäuden in traditioneller Form entstehen nur 3 als Fassadenrekos, wohlgemerkt nicht als Gebäuderekos. Also wenn das ein "historischer Umbau" von "ganz Potsdam" sein soll, fresse ich einen Besen!

  • ^ In der Tat geht besser immer, aber man stelle sich vor, das FH-Gebäude wäre stehengeblieben ... Das war um 1 Haar der Fall! Daher bin ich dankbar für wenigstens das was da jetzt kommt.

  • Ich bin auch zufrieden mit dem, was jetzt gebaut wird. Optimal wäre es aber gewesen, wenn man alle 6 Gebäude, die in traditioneller Form geplant waren, als Fassadenrekos ausgeführt hätte. Besonders bei den östlichen Acht-Ecken-Häusern, die jetzt nur in reduzierter Form kommen, wäre das aufgrund der Ensemblewirkung jedenfalls geboten gewesen.