Potsdam: Wiederherstellung der historischen Innenstadt (Projekte)

  • Na, so genau stimmt das nicht. Die vier von Dir genannten sind dann wohl die drei Achteckenhäuser, der Einsiedler (z.T.), der Plögersche Gasthof, die drei Ecken Schwertfeger/Kaiserstraße (zweimal) und Schloß-/Kaiserstraße. Oder? Es sind ja doch ewas mehr...


    Hallo Konstantin,


    genau die gleiche Seite hätte ich auch zitiert. Besser noch die Ausschreibungsunterlagen. Fangen wir also an:


    Zunächst wurden Gestaltungskriterien festgesetzt (siehe Brosch_Ausschreibung.pdf, Seite 16), Zitat: "Es werden fünf Kategorien für Gebäude in der Potsdamer Mitte definiert, in die alle Gebäude einzuordnen sind:
    » Kategorie 1 | Leitgebäude
    bestehendes Gebäude mit Leitfunktion
    » Kategorie 2 | Leitbau
    historisches Gebäude mit Leitfunktion
    » Kategorie 3 | Leitfassade
    historische Fassade mit Leitfunktion
    » Kategorie 4 | Leitlinien
    Gestaltelemente mit Leitfunktion
    » Kategorie 5
    Gebäude ohne Leitfunktion
    "


    Das Gebäude mit "Leitfunktion" (Kategorie 1) ist nur ein Gebäude, der Palast Barberini. Und dieser ist mittlerweile auf Kategorie 2 degradiert worden, da keiner seiner Innenräume rekonstruiert wird, ja selbst die Havelseitige Ansicht, zwar schön, aber doch nicht Original wiederhergerichtet wird.


    Die nächste Kategorie "Leitfassade" (Kategorie 2) umfasst genau 7 Gebäude, von denen bereits mit den Baufeldern I am Alten Markt und II an der Achteckenkreuzung 3 realisiert werden. Bleiben also nur noch 4 Gebäude mit Leitfassaden in den neuen Baufeldern III bis V.


    Mit der Kategorie 3 werden sehr sehr weiche Kriterien festgelegt, die auch nur eine minimale Annäherung an die historische Kubatur und noch weniger Fassade zulassen. Hierunter fallen die beiden weiteren Achtecken-Häuser wie auch der Einsiedler. Zitat Brosch_Ausschreibung.pdf, Seite 18: "Die architektonische Qualität soll in Material und Gestaltung höchsten Ansprüchen genügen.
    Als Referenz an die Qualität der verloren gegangenen Potsdamer Mitte sollen bei der Architektur der Gebäude für die Material- und Gestaltungsqualität durchgängig höchste Ansprüche gelten.
    " Was heißt das? Nicht mehr als: gebt Euch mal Mühe.


    Zu den Beispielen von Konstantin:
    die 4 Achtecken-Häuser: eines (das Erste) wurde bereits in den 50er Jahren rekonstruiert, das Zweite entsteht ebenfalls in der Fassade Original durch die Bürgerstadt neu im Rahmen des Projektes Potsdamer Mitte im Ausschreibungsfeld II. Das Dritte Achteckenhaus im Ausschreibungsfeld III und das Vierte in IV müssen nicht originalgetreu errichtet werden, sondern nur deren Kubatur soll äußerlich nachempfunden werden, da sie Kategorie 3 sind! Dies werden demnach moderne Interpretationen ähnlich der neuen "Alten Post".


    Der Eisiedler ist eine Ausschreibung aus dem bereits gelaufenen Ausschreibungsverfahren der Baufelder I und II. Zum Einsiedler gab es keine erfolgreichen Bieter, daher gründen auch bis heute die Diskussionen, ob nicht das Baufeld der Synaoge um das des Einsiedlers mit dessen Wiedererichtung erweitert werden soll. Nicht unterschlagen werden sollte: auch der Einsiedler ist oder soll keine Leitfassade sein, sondern ist Kategorie 3! Demnach darf er interpretiert, verändert und sogar um 2 Stockwerke erhöht werden. Wenn man sich die Haberlandschen Entwürfe dessen anschaut, erkennt man das Gebäude nur noch ansatzweise wieder.


    Somit bleiben als einzige neue Leitfassaden in den Baufeldern III, IV und V nur der Plögersche Gasthof, welcher nicht an seiner originalen Position errichtet werden soll, sondern dank der Verbreiterung der Hohewegstraße zur heutigen Friedrich-Ebert-Straße um einige (dutzend?) Meter in die ursprünglichen Grundstücksgrenzen hinein verschoben wird.


    Sowie die Eckgebäude an der Schwertfegerstraße, Ecke Kaiserstraße. Dass diese Gebäude kommen oder nicht kommen, ist maßgeblich davon abhängig, wie massiv weiterhin die Pro Potsdam als Eigentümer des "Staudenhof"-Betonblocks in unheiliger Allianz mit den Linken auftreten. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass auch die Kaiserstraße im dauerhaften Staudenhof überwuchtert bleibt. Einerseits, weil die Pro Potsdam dieses 300-Mieter Wohnhochhaus in der dann aufgewerteten historischen Mitte als Cash Cow behalten und andererseits die SED-Linke sich ihre sozialistischen Großstadt bewahren will. Und letztendlich auch, weil die weiteren Parteien Potsdams nicht stark genug sind, diesen Widerstand gegen die Wiedererlangung der historischen Mitte auszuhalten. (siehe Brosch_Ausschreibung.pdf, Seite 15), Zitat: "für Baufeld V (Karree am Alten Markt nördlich der Nikolaikirche) ist die Verfügbarkeit abhängig vom Abriss des vorhandenen Wohngebäudes."


    Grüße
    Luftpost

  • Na, nicht ganz.


    Zur Kat 1 gehören die die bestehenden Bauten mit Leitfunktion, also z. B. das Alte Rathaus oder das Knobelsdorffhaus am Alten Markt.


    Die Kat 2 sind die historischen Gebäude mit Leitfunktion. Hier ist es richtig: das einizige Gebäude dieser Kategorie war der Palast Barberini. Hier sollten die Fassade vorn und hinten sowie zwei bekannte Säle wiedererrichtet werden. Übrig geblieben ist im Verfahren nur noch die Frontfassade, dass die beiden Innensäle entfallen sind ist mir neu! Warum? Bei der Gelegenheit: sind die beiden Grundstücke in der Brauerstraße noch immer als TG für das Museum vorgesehen oder kommt der Käufer Abris Lelbach mit einer anderen Idee um die Ecke?


    Kat 3 sind historische Leitfassaden. Im Bau sind die ehemaligen Paläste Chiericati und Pompei am Alten Markt / Humboldtsraße. Dort werden im Frühjahr die historischen Fassaden montiert. Zudem ist das Grundstück Schwertfeger 9 an die Bürgerstadt verkauft (Musikerhaus, südwestliches Achteckenhaus). Hier könnte mit dem Bau sofort begonnen werden. Der Palast Beberano (Schwertfeger 1) ist noch durch FH blockiert, der Palast Capra durch den Staudenhof.


    Kat 4 sind Gebäude mit Leitlinien. Ich stimme Luftpost zu, dass diese Vorgaben allesamt windelweich sind. Hier muss man allerdings darauf hinweisen, dass die Ausschreibung von 2010 stammt und von der SVV beschlossen wurde die Ergebnisse zu evaluieren. Das steht noch aus. Die Grünen z. B. kritisieren, dass mit der Humboldtstraße vier Bauten an - letztendlich - einen Investor mit vier Tochetrgesellschaften gegangen ist. Auch wird man beurteilen müssen, ob die Gestaltungsleitlinien bei den schon vergebenen Häusern ohne Leitfunktion das gewünschte Ergebnis gezeitigt haben. Wenn man sich die Ergebnisse zur Alten Post anschaut wird man auch eher ratlos zurückgelassen. Für die nächste Runde der Ausschreibungen ist konsequenterweise sicher ein erneuter Beschluß der SVV - fünf Jahre nach dem ersten - erforderlich.


    Deshalb wird bei der Ausschreibung der beiden östlichen Achteckenhäusern sicher eine Leitfassade nochmals zu diskutieren sein. Es wäre aber auch bei der jetzigen Kategorisierung möglich, dass sich ein Bewerber mit der historischen Fassade bewirbt. Die Entwürfe wird man jedenfalls immer vor dem Hintergrund des gesamten Acht-Ecken-Platzes, der ja eigentlich doppelsymmetrisch war und nun wegen der Breite der ehemaligen Hohewegstraße in diesem Bereich (Straßenbahn) auseinandergerückt wird, diskutieren müssen.


    Ähnliches trifft für mich auch auf das Gebäude Am Kanal - Hohewegstraße zu. Das herrliche, barocke Bürgerhaus kann auch einen Liebhaber finden. Und nicht zu vergessen ist die Hofbäckerei an der Schloßstraße und der Palast Rothschild. Den Staudenhofblock (Baufeld V) lasse ich mal aussen vor.


    Beim Synagogenblock (Baufeld II) steht mit einem Erinnerungsbau an den Gasthof "Zum Einsiedler" auf einem durch die neuzuerrichtende Synagoge verkürzten Grundstück sicher eine schwierige Entwurfsaufgabe an. Da mit einer Einigung im Synagogenstreit aum zu rechnen ist können die restlichen Häuser des Blocks sicher jetzt ausgeschrieben und realisiert werden - die Synagoge kann später von der Straße aus gebaut werden.


    Zusammengefasst denke ich, nachdem mit der Auszugsterminierung der FH nun Klarheit bei der Freiwerdung der Baufelder geschaffen wurde, im Frühjahr nächsten Jahres die nächsten Grundstücke auf den Markt kommen.

  • Wo wir gerade beim Thema sind, möchte ich heute über zwei Projekte informieren, die von der Bürgerstadt realisiert werden. Zum einen wäre hier das "Musikerhaus Potsdam" in der Schwertfegerstraße 9. Da das Gebäude einen Teil des früheren Ensembles am Achteckenplatz bildet, wird die historische Fassade originalgetreu rekonstruiert:



    Quelle: Bürgerstadt



    Quelle: Bürgerstadt



    Quelle: Bürgerstadt


    Unmittelbar an den prächtigen Palast Barberini angrenzend wäre da zum anderen ein moderner Neubau, der unter dem Namen "No 1" in der Brauerstraße 1 errichtet wird. Er besteht aus einem Vorderhaus am Alten Markt sowie einem Rückgebäude an der Alten Fahrt:



    Quelle: Bürgerstadt



    Quelle: Bürgerstadt



    Quelle: Bürgerstadt


    Im Immobilienkatalog 2014/2015 der Landeshauptstadt Potsdam, der erst vor kurzem erschienen ist, werden auf Seite 7 übrigens schon die Baublöcke III und IV unter dem Projekttitel "Alter Markt/Schwertfegerstraße" angeboten. Auf einer Grundstücksfläche von jeweils rund 7.000 Quadratmetern ist eine Nutzung durch Wohnungen, Büros und teilweise Einzelhandel vorgesehen. Das Ausschreibungsverfahren soll im Jahr 2015 beginnen.


    http://www.potsdam.de/sites/de…ts/immokat2014_web1_0.pdf

  • Ich frage mich, wozu man sich die Mühe macht, das Barberini-Palais originalgetreu wieder aufzubauen, wenn man daneben so einen hässlichen Klotz setzt. Wobei geht es denn bei Rekonstruktion wenn nicht um die Herstellung eines Idealbildes, einer schönen Ansicht, oder der Illusion, dass Zerstörung nicht stattgefunden hat?
    Und ich fine für mich diese Antwort:
    Deutschland hat offenbar ein Problem mit der Rekonstruktion von Stadtbildern. Dahinter steckt wohl immer noch der Komplex, dass Deutschland es nicht anders verdient hat, hässliche Städte zu haben, weil sie ja die Folge der Aggression der Deutschen im 2. Weltkrieg ist.
    Das Schuldgefühl verbietet uns, die Schönheit der alten Städte wieder zu gewinnen. Deswegen muss man jede Rekonstruktion von Einzelgebäuden durch eine Hässlichkeit kompensieren (siehe Spreeseite des Stadtschloss Berlin), und deswegen muss auch die alte Fahrt von solchen Kästen durchsetzt sein.

  • ^^Der Text von Seite 7, der von einem Verfahrensbeginn in 2015 ausgeht, ist überholt. Man schreibt die Voraussetzung für eine Ausschreibung sei der Abbruch der FH.


    Die FH zieht nun aber erst 2017 aus, deshalb wird es wohl mit den FH-Block nichts werden mit der Ausschreibung in 2015.


    Warum baute denn die Bürgerstadt noch nicht? Ist doch alles frei?

  • ^Musikerhaus Potsdam.
    Die Fassade soll originalgetreu rekonstruiert werden. War das Dach auch schon ursprünglich so, oder hat man hier auf Gauben und ähnliches verzichtet?

  • Acht-Ecken-Häuser

    Archivbilder von den "Acht Ecken" zeigen, dass die geplante Dachgestaltung des wiederaufzubauenden zweiten Gebäudes dem ursprünglichen Zustand entspricht. Bleibt zu hoffen, dass auch die beiden anderen Acht-Ecken-Häuser demnächst originalgetreu rekonstruiert werden.


    Blick vom Neuen Markt zur Nikolaikirche:

    Quelle: Bundesarchiv, Bild 170-300 / Max Baur / CC-BY-SA


    Kreuzung Schwertfegerstraße/Hohewegstraße:

    Quelle: Bundesarchiv, Bild 170-297 / Max Baur / CC-BY-SA


    Blick von der Hohewegstraße zum Kutschstall:

    Quelle: Bundesarchiv, Bild 170-296 / Max Baur / CC-BY-SA


    Gesamtensemble der Acht-Ecken-Häuser:

    Quelle:Bundesarchiv, Bild 170-288 / Max Baur / CC-BY-SA

  • Der originalgetreue Aufbau der westlichen Achteckenhäuser ist im Leitbautenkonzept ausdrücklich nicht vorgesehen. Hier geht es nur um die Ausbildung einer konkaven Ecke, in welcher Architektur auch immer.


    Zudem ist durch die Aufweitung der Friedrich-Ebert-Straße - der ehem. Hohewegstraße - eine Verschiebung der beiden Achteckenhäuser um etwa 12 Meter in Richtung Westen vorgesehen. Damit verliert der Acheckenplatz seine frühere Doppelsymmetrie und wird zu einem Längsoval.

  • Was sollen für Funktionen in die Potsdamer Mitte?


    Bis dato sind rum um den Alten Markt und den Lustgarten:
    - Bahnhof
    - Potsdam-Museum im Alten Rathaus
    - Hotel
    - Spielcasino
    - Filmmuseum


    und die Einrichtungen des Landes:
    - Landtag
    - Ministerien
    - FH


    und die Kirchen.


    Gastronomie, bis dato typisch "zentrumsbildend" ist noch Fehlanzeige bis auf das kleine Café im potsdam Museum. Da kommt jetzt in der Humboldtstraße ein Italiener und die Bäckerei Steinecke hinzu, das riecht nicht nach ersten Häusern am Platz. Im Barberini scheint auch keine Gastro vorgesehen zu sein. Warum hat denn Potsdam z.B. keinen Irish Pub? Sowas gehört ins Zentrum.


    Für mich würde hier wenigste noch das für Kultur zuständige Mitglied der Stadtverwaltung hingehören. Im Barberini war früher noch das Standesamt. Ein Café auf Heider-/Rabien-Niveau täte not, die Hofkonditorei war ja direkt in der Schloßstraße. Dann werden einige Banken noch kommen (Berliner Volksbank zieht in die Alte Post, die MBS erwägt auch ein historisches Gebäude zu kaufen). Frau Schmack, die beim Barberini zu kurz gekommen ist, könnte sich um den Plögerschen Gasthof kümmern, ideal für ein Zentrums-Steigenberger.

  • Nutzungen kann man nicht planen, die ergeben sich. So wachsen Städte. In Potsdam will man, wie ich denke zurecht, zumindest das Grundgerüst der durch Krieg und Nachkriegsplanungen Stadt wiederherstellen. Nicht als Puppenstübchen, sondern als Identitätskern (vgl. die gar nicht mehr so große Zahl historischer Gebäude in Paris, weil sie aber dennoch flächendeckend verteilt und im Alltag auch außerhalb einer Puppenstübchen-Altstadt präsent und sehr markant sind meint man dennoch, dass Paris eine Stadt mit klarer Identität, einem spezifischen "Pariser Gesicht" ist).


    Ich denke in Potsdam tut man einfach gut daran, sich der Rückholung einer über viele Jahrhunderte und viele Generationen gewachsenen Grundstruktur zu widmen aber ansonsten, bzgl. Nutzungen und manchem Detail, der Sachen freien Lauf zu lassen. Gerade weil man kein totgeplantes Puppenstübchen will. Häufig reicht es zB schon alte Parzellierungen wieder aufzunehmen, die sich aus guten Gründen ("best practice") über viele Umbauten über viele Jahrhunderte als Optimum herausgebildet hatten.


    Bis hin zu Dingen, auf die man wieder verstärkt achten muss, dass zB vor der Zentralheizung und allgemein verschwenderischem Umgang mit Energie die Gassen und Straßen in Städten so geplant wurden, dass einerseits unter Tags möglichst viel Sonnenlicht in die Straßen und durch Fenster in Gebäude fällt (heute knipst man halt Kunstlicht an, vgl. Kaufhäuser die teilweise nicht einmal Fenster haben). Man achtete aber auch darauf, dass einerseits Frischluftschneisen vorhanden sind (damit der Dreck der Holzöfen abziehen kann etc., heute ja aber nicht weniger wichtig), andererseits aber zB der eisige Winterwind möglichst "über den Dächern der Stadt" blieb und sich keine windigen Ecken bildeten, die die Häuser und Passanten auskühlten, was ja in dieser ressourcenarmen Zeit auch eine Überlebensfrage war (nur 1/5 mehr heizen, weil man in einem Palast der Winde lebt konnte bedeuten, dass das Holz nicht über den ganzen Winter reicht).


    Bis dahin, dass man möglichst dicht baute, um auch kurze Wege zu haben (war ja alles zu Fuß zu erledigen), aber auch jeder so ein bischen Privatssphäre wollte, so wurde dann zB ganz praktisch darauf geachtet, dass Fenster gegenüberliegender Gebäude versetzt zueinander gebaut wurden, damit man sich nicht gegenseitig ständig auf dem Präsentierteller sieht.


    Früher plante und baute man "Stadt" eben als ein soziales und architektonisches Gesamtwerk, was eine Stadt ja auch unbestreitbar ist. Wir sind davon abgekommen, aus diversen Gründen. Aber wollen dorthin wieder zurück. Wir wollen wieder kurze Wege um möglichst auf ein Auto verzichten zu können, wir wollen wieder möglichst wenig Energie verbrauchen und auch wieder mehr in den Städten leben, aber dabei doch bitte trotzdem Privatssphäre und all die anderen Dinge, für die unsere Vorfahren über viele Jahrhunderte ausgeklügelte Lösungen ersonnen hatten. Das heißt, "Wiederherstellung historische Mitte" sollte nicht (zwingend) heißen, einfach hübschen Stuck wiederherzustellen.


    Stuck ist im Zweifel in meinen Augen auch entbehrlich, das ist halt Zeitgeschmack. Aber sehr wohl sollten wir von unseren Vorfahren zu lernen, es hat für mich auch eine gewisse Arroganz, mit der wir uns über 2.500 Jahre europäische Baugeschichte seit den Römern und Griechen hinwegsetzen und das dann ungemein fortschrittlich finden, das Rad mit jedem Gebäude neu erfinden zu wollen, d.h. auch regelmäßig durch Fehlplanungen und sich nicht bewährenden Planungen zu scheitern. In der Philosophie, Kunst oder auch Politik (Marx usw.) zitieren wir auch heute noch gerne das Genie früherer Epochen, bloß in der Architektur denken wir aus irgend einem Grund, alles besser zu wissen, seit wir Stahlbeton haben.


    Auch dahingehend bauen wir sehr ressourcenverschwendend, es ist heute nichts besonderes ein Gebäude nach 30 Jahren wieder abzureißen. Eine unfassbare Verschwendung von Ressourcen und Arbeitskraft, ein Grund dafür, warum wir gerade dabei sind diesen Planeten und unsere Lebensgrundlagen zu verzehren. Das kann so also nicht weitergehen. Nachhaltige Stadt heißt daher auch so zu planen, dass daraus möglichst dauerhafte Nutzungen werden und im Zweifel den ein oder anderen zeitgebundenen Gedanken hintan zu stellen, bis hin zum Individuum, was in Deutschland klassischerweise sein Eigenheim über mehrere Etagen baut und einfach nicht daran denkt, dass Stufen im Alter sehr unangenehm sein können. Nicht wenige Senioren müssen alleine deswegen ihr liebgewonnenes Heim verlassen, weil es insgesamt nicht für alle Lebensphasen geeignet ist.


    Andere Stichworte wie altengerechtes Bad usw., wenn so "altenfeindlich" geplant wurde, dass nicht nur wenige Anpassungen nötig sind, fehlt vielen ja auch schlicht das Geld für einen großen Umbau und zigtausende Senioren müssen alljährlich ihr geliebtes Heim verlassen und umziehen, weil sie daran bei Zeiten einfach nicht gedacht haben - das lässt sich insgesamt auf uns als Gesellschaft übertragen. So müssen wir jetzt schon altengerechte Städte planen, so müssen wir uns überlegen wie wir den Alltag der Menschen besonders einfach machen können in einer Zukunft ohne Erdöl, wo es Ersatztechniken geben mag, die aber nun einmal in jedem Fall komplexer (damit teurer) sein werden, als einfach nur das von der Natur gegebene Erdöl aus dem Boden zu pumpen, bischen zu raffinieren und in den Autotank zu pumpen. Individualverkehr wird teurer, d. h. man wird insgesamt über kürzere Distanzen froh sein (und mancher, der sein abgelegenes und nur mit längerer Autofahrt zu erreichendes Häuschen im Grünen gebaut hat, wird diese Entscheidung in dieser Zukunft bitter bereuen).


    Wir können hier sehr viel von der Expertise unserer Vorfahren lernen und ein erster Schritt dazu ist erst einmal Lernen durch Nachahmung. Im Zweifel lieber im Bauhausstyle, die Wände dafür statt mit "Plastikmüll" mit Naturmaterialien verputzt (also kein Kunststoffgewebe, sondern Schilfmatten, usw.), dafür lieber auf Styroporstuck verzichten. Mir geht es nicht um das Augenscheinliche, sondern um die solide Expertise unserer Vorfahren, die wortwörtlich nachhaltig bauten (lokale, billige, zu 100% recyclebare oder zersetzbare Naturmaterialien, auf Nutzung durch viele Generationen ausgelegte Gebäudeplanung und dabei möglichst wenig Ressourcen wie Heizmaterial brauchend).

  • Was jetzt Marx und die Alten Griechen wieder mit den Nutzugen der Altstadt zu tun haben... Komm' mal auf'n Punkt, Eisber.


    Natürlich kann man Nutzungen planen. Das macht jedr Entwickler, täglich. Und die öff. Hand mit ihren Einrichtungen sowieso.

  • ... es könnte (sollte) um weitaus mehr gehen, als bischen Stadtreparatur mit hübscheren, vorgeschalten Fassaden, als sonst heutzutage üblich ist, im Inneren aber doch wieder die selbe "Stahlbeton-Bauchemie-Baufachhandel Standardteile Collage".


    Potsdam könnte richtig Vorreiter sein. Das kann man sich ja beliebig weit vorstellen. Beispielsweise statt nur etablierte Planungsbüros explizit Architekturstudenten in ganz Deutschland dazu auffordern Vorschläge zu machen, mit der Vorgabe von den Grundideen unserer Vorfahren zu lernen (abgesehen von Solitären, die man wieder haben möchte, also ruhig auch weg von historischen Fassadenkulissen). Wer Nachhaltigkeit (nachwachsende Materialien, Langlebigkeit, geringe Energieverbräuche in der Gebäudenutzung) dann am besten damit umsetzt, der wird prämiert und darf seinen Entwurf umsetzen.


    Dann integriert man noch Langzeitarbeitslose oder unterprivilegierte Jugendliche (keine super Noten in Mathe, aber handwerkliches Geschick), die häufig bei "Bildungsträgern", geparkt werden, in die Arbeiten und wenn dann alles fertig ist, haben junge Leute viel gelernt, haben eine Referenz geschaffen die bei Bewerbungen für sich spricht und die Öffentlichkeit hat neue Wege, abseits der eingetretenen Pfade.


    So wünsche ich mir modernen Städtebau. Wenn solche Pilotprojekte der Nachhaltigkeit in Städten wie Freiburg im Breisgau möglich sind, wieso nicht auch in Potsdam? Wiederherstellung unserer historischen Städte ist für mich weitaus mehr, als hübsche Postkartenansichten. Es heißt von den smarten und nachhaltigen Bautechniken unserer Vorfahren, die diese über viele Jahrhunderte perfektioniert hatten, wieder zu lernen. Anstatt einfach nur immer zu Chemiecocktails, Kunststoffen und Stahlbeton zu greifen und schnell-schnell irgendwas hochzuziehen, was in 30 Jahren wieder abrißreif ist.

  • ^Wer hat denn von "Chemiecocktails, Kunststoffen und Stahlbeton" gesprochen? Das sind doch alles blosse Mutmassungen. Und nach Marx und den alten Griechen kommen jetzt "unterprivilegierte Jugendliche" und Langzeitarbeitslose zum Einsatz. Ich glaube, da geht in deinem Kopf echt vieldurcheinander .


    Nein, Potsdam möchte keinen modernen Städtebau an dieser Stelle run um den Alten Markt sondern hat ausdrücklich die "Wiederannäherung an den histroschen Stadtgrundriss" beschlossen (SVV-Beschluß), schon 2009. Damit ist der Städtebau gesetzt.


    Zudem einige Rekonstruktionen historischer Fassaden.


    Eine Altstadt ist architektonisch keine Test- und Projektionfläche für Architekturstudenten oder Arbeitsbeschaffungsmassnahme für Bildungsträger sondern eine komplexe und anspruchsvolle Bauaufgabe. Deshalb werden, wie schon bei der Alten Fahrt, alle Grundstücke einzeln mit Nutzungsmischung und Gestaltungsvorgaben als Konzeptverfahren ausgeschrieben. Das beginnt in etwa einem Jahr. Mal schauen, was für Ideen kommen.

  • Obelisk auf dem Alten Markt wiederhergestellt

    Mit dem heutigen Einsetzen der Sphingen per Kran ist die Rekonstruktion des Obelisken auf dem Alten Markt abgeschlossen. Im März diesen Jahres hatten die umfangreichen Arbeiten an dem zuvor abgetragenen Pfeiler begonnen. Gerüst und Bauzaun werden laut einer Pressemitteilung des Sanierungsträgers ProPotsdam in den nächsten Tagen abgebaut.


    http://www.propotsdam.de/1364.…d88dc989b675b3b39f5a13b92

  • Panoramarundgang Potsdam optimiert (1850 und 2012)

    Hallo,
    nach langer Zeit möchte ich mich hier einmal wieder melden. In der Zwischenzeit wurde der optimiert, so dass jetzt ein virtueller Stadtbummel durch die Potsdamer Mitte um 1850 deutlich flüssiger läuft und schon eher etwas mit "virtuellem Schlendern" zu tun hat. In den wurden weiterhin die verlinkten Fotos aktualisiert und last but not least in der Galerie aktualisiert und zwei neue Galerien, Potsdamer Mitte im November 2014 und Details der Lustgartenfassade des Stadtschlosses hinzugefügt. Leider hat die Seite in Potsdam kaum Resonanz gefunden, so dass der weitere Ausbau eingestellt werden musste. Ob es in einigen Jahren noch mal eine Chance gibt, muss man sehen.


    Viel Freude, wenn jemand im Panoramarundgang Potsdam unterwegs ist!


    Zu den Post der letzten Tage: Als ich vor kurzem in Potsdam war, hatte ich den Eindruck, das die Brauerstr. 1 durch die Baustelleneinrichtung des Palast Barberini noch ruht, kann mich aber auch irren. Zur Dachlandschaft des einen Achteckenhauses: die Dächer im alten Potsdam waren zumeist über einer kleinen Attika sehr flach geneigt und beherbergten nur Dachböden. Das Alte Potsdam war ja im Vergleich zu Städten wie Leipzig oder Dresden in der Fläche eher größer bei allerdings deutlich geringerer Einwohnerzahl. Das heißt der Bebauungsdruck war eher gering. Damit gab es auch keinen Grund die Dächer im großen Stil auszubauen. Erst im 19. Jahrhundert wurden die Dachböden teilweise ausgebaut in dem Ochsenaugen als Dachgaupen aufgesetzt wurden oder wie an den Achtecken in die Attika Fenster eingebaut wurden. Das die gegenüberliegende Seite der Achtecken nicht als Reko vorgesehen sind, hat mit damit zu tun, das Rekonstruktionen nur am originalen Standort erfolgen sollen. Beim Plögerschen Gasthof nimmt man es damit zum Glück allerdings nicht ganz so genau. Ob er ein Steigenberger beherbergen wird ... hm .. dass hieße Minimum so 100/150 Betten - Weiß nicht ob der Platz da ausreicht. Die Nutzungsstruktur in der Neuen Alten Mitte ist ohnehin so ein Problem. Zum einen sehe ich die ehemalige Hohe Wegstraße in ihrer jetzigen Breite, die ja auch die originalen "Achtecken" verhindert, als eine problematisch trennende Schneise zwischen Altem Markt und Neuen Markt. Zum anderen dürfte es bei der geringen Anzahl an potentiellen Geschäften bei der starken Konkurrenz am Bahnhof (ECE) oder auch an der Brandenburger sehr schwierig werden um eine gewisse kritische Masse für Laufkundschaft zu erreichen. Schlimmer noch, die Brandenburger verliert jedes Jahr an Umsätzen, nicht viel, aber wohl stetig sinkend. Der Platz der Einheit versagt zudem als Bindeglied zwischen Brandenburger und Neuer Alter Mitte völlig. Irgendwie bräuchte man auch Platz für Markenanbieter (ab 500m²) - der wäre am ehesten in der Wilhelmgalerie gegeben, aber da sind wohl in den Obergeschossen nur Büros? Hm - alles nicht so einfach... Dem Zufall kann man es kaum überlassen. In Zukunft werden zudem nur Einkaufsviertel überleben, welche ähnlich einem Center von zentraler Stelle aus dirigiert werden. Dies vermeidet beispielsweise, das 5 Mobilfunkshops auf 100 m Straßenlänge zu finden sind. Dem Zufall überlassen Viertel werden mehr und mehr von Händlern gemieden, weil es für sie in einem Center einfacher ist und von den Kunden werden sie weiniger angenommen, weil der Ladenmix nicht interessant genug ist, kostenlose Parkplätze fehlen, Werbeaktionen für das ganze Viertel fehlen etc.. Dies wird zumindest in einschlägigen Seiten zum stationären Einzelhandel besprochen. Das Internet ist das nächste Problem für die Geschäfte. Wie viel bestellt Ihr mittlerweile im WWW, was Ihr vor 10 Jahren noch aus Geschäften besorgt habt?


    Beste Grüße Andreas




    PS - "einschlägige Seiten zum Einzelhandel" hier habe ich ein Interview mit einem Buchhändler verlinkt. auf Kassenzone waren noch 2 weitere Interviews zum Einzelhandel (ein klassischer Schuhhändler und ein Sporthändler). Dies Intervies haben meinen Horizont zur derzeitigen Situation im Einzelhandel erheblich erweitert!

  • Schönes Fundstück. Immer wieder erstaunlich, wie die ehemalige DDR einzig aus grau-braunen Tönen zu bestehen schien. Die dort zu sehende Stadt erinnert nur schemenhaft an das Potsdam, was ich kenne und schätze.


    Das zeigt auch schön, dass wir keine früheren Zeiten "wiederherstellen" sollten. Alle Rekonstruktionen und auch denkmalgerechte Kernsanierungen sind ja kunsthistorisch betrachtet Zustände von Altstadtensembles, wie es sie so in der Realität nie gegeben hat. In der DDR hat man die Altstädte ja nicht in einem besonderen Maß verfallen lassen, wie oft gesagt, die Gebäudewirtschaft blieb viel eher aus dem Stand von vor den beiden Weltkriegen stehen, als dann sozusagen zu zivilen Normalverhältnissen zurückgekehrt wurde. So grau-braun zeigten sich die alten Städte flächendeckend auch auf den raren, alten Farbaufnahmen aus den Jahren vor den Zerstörungen.


    Wir wollen heute, wenn wir über Rekonstruktionen reden, eine geglättete und aufgehübschste Version der alten Städte haben. Es sind und bleiben neue Städte, angelehnt an historische Vorbilder - aber von einer "Wiederherstellung" kann man einfach nicht sprechen. Weder wird es den Abort im Hof oder das Etagenklo, noch wird es zugige einfachverglaste Holzfenster oder Kohleöfen geben. Sich das bewusst zu machen ist in meinen Augen ein schöner Kniff, um dieser Endlosschleife der Rekonstruktionsdebatten zu entkommen - es sind genau genommen eben keine Rekonstruktionen oder Wiederherstellungen, im Wortsinne a lá Wörterbuchdefinition.

  • Beim Betrachten des Videos fühle ich mich unweigerlich an das folgende Zitat unseres früheren Bundesinnenministers Otto Schily (über Ost-Berlin) erinnert:


    "Ostberlin war ausgesprochen hässlich. Dann der Gestank von dem berühmten Ostbenzin, der auch unangenehm war. Die DDR roch schlecht ... Ich habe einmal zugespitzt gesagt, die DDR ist an Mangel an Ästhetik zugrunde gegangen. Ja, sie war einfach scheußlich, auch in ihrer Spießigkeit.“


    Ich vermute mal, dass, wenn die DDR weitere 10 Jahren bestanden hätte, eine Vielzahl der schönen alten Gebäude in sich zusammengestürzt wäre.


  • Ich vermute mal, dass, wenn die DDR weitere 10 Jahren bestanden hätte, eine Vielzahl der schönen alten Gebäude in sich zusammengestürzt wäre.


    Da ist was Wahres dran und es war wohl auch genau so einkalkuliert. Wer die Innenstädte bspw. von Greifswald, Halle u.v.a. vor 1990 gesehen hat, wusste dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis auch dieser letzte Rest vorsozialistischer Vergangenheit abgeräumt wird.