Potsdam: Wiederherstellung der historischen Innenstadt (Projekte)

  • Das Ergebnis dieser Rekonstruktion ist wirklich fantastisch! Ich habe mich bis jetzt nicht wirklich mit den verloren gegangenen Teilen der Potsdamer Altstadt befasst und bin wirklich überrascht, was für Schmuckstücke hier wiederauferstanden sind. Es wäre wirklich eine tolle Sache, wenn es einen Fond gäbe, der Investoren eine Förderung bereitstellt, wenn sie sich für die Rekonstruktion von wertvollen hisorischen Fassaden entscheiden. Ich bin überzeugt, dass sich das auch für die Investoren lohnt, wenn sie mehr als bloß ein reines Abschreibungobjekt planen.

  • Ich möchte mich dem Urteil, nach dem unappetitlichen Streit, ausdrücklich anschießen. Ich bin von der Ästhetik des Barberini wirklich geplättet. Es steht für mich für Deutschland in einer Reihe mit dem Erbdrostenhof in Münster und dem Coselpalais in Dresden. Die Wiedererrichtung ist ein großer Gewinn, auch wenn der Mittelrisalit nur eine Kopie des Originals (in Rom :lach: ) ist. Es ist erstaunlich mit welcher Ausdauer Friedrich II es vermochte, eine höfische Umgebung vorzutäuschen. Es war ja schließlich, anders als die oben genannten Beispiele, nie ein Adelspalais. Daher ist der Wiederaufbau nach dem Stadtschloss auch logisch. Schon für Friedrich war es nur eine Attrappenarchitektur. Ich empfinde die Potsdamer Variante auch fast als gelungener, als den Palazzo Barberini. Die Straßenfassade wirkt ungeheuer klar strukturiert, beinahe modern.

  • EffZwo wollte ja bewußt keine Adelspalais in Potsdam (die sollten in Berlin bauen), er suchte seine Ruhe. Trotzdem war ihm die Imagination einer römischen Stadt wichtig und so baute er die Häuser und Fassaden selbst und schenkte sie Handwerkern und anderen Bürgern.


    An einer Adaption von Vorbildern kann ich kein "nur" und keinen Makel erkennen. Der Wunsch nach unbedingter Originalität ist wohl ein Kind des 20. Jahrhunderts und meist sind bei den zwei Duzend Palastkopien ja ganz andere Bauten in anderem städtebaulichen Zusammenhang herausgekommen. Hinzu kommt, dass in Potsdam unrealisierte Entwürfe Palladios ausgeführt worden (z.B. der Palast Angarano als Vorlage für das Alte Rathaus) und mitunter die "Originale" schon durch amerikanische Bomber (Vicenza) oder die Gier der Leute (London, Palast Burlington, ist erst vor zwei Jahren abgedrochen und durch ein Einkaufszentrum ersetzt worden). Last, but not least, wurde ja nicht nach den Orginalbauten nachgeschöpft sondern nach Kupferstichen derselben, die schon ein idealisiertes Bild der Palazzi zeigten.


    So ist in Potsdam eine sehr spezielle Mischung zusammengekommen.


  • Ich möchte noch mal auf eine Textstelle des KAmmerherrn Graf Lehndorff von Juni 1772 hinweisen:


    2. Juni.
    Ich gehe um 10 Uhr zur Parade. Es ist doch das Schönste von der Welt, diese Krieger zu sehen. Wir finden hier den Grafen Zinzendorff, der nach Dresden geht. Es ist ein sehr liebenswürdiger Mann. Er besichtigt mit uns das Schloß, in dem ich zwei ganz neue Zimmer finde, die von einem Geschmack und einer Pracht sind, dass es eine Freude ist, sie zu sehen. Es ist doch ein schöner Ort, dies Potsdam. Der König hat eine Schule im Geschmack des Palastes Barberini in Rom bauen lassen. Um 8 Uhr gehen wir nach Sanssouci. Ach, der reizende Ort! Das Haus, der Garten, die Möbel, die Standbilder, kurz alles bezaubert, alles entzückt das Herz. Es ist der würdige Aufenthalt eines Königs wie des unserigen. Wir verlassen Potsdam und langen um 4 Uhr morgens hier an.

    aus:




    Ob das wohl stimmte?

  • ^^ Danke, Konstantin, guter Beitrag, schönes Foto! Du streifst zugleich eine Frage, die mich schon länger umtreibt: Ob es nicht Fälle gibt, wo weder eine Rekonstruktion noch ein zeitgenössischer Entwurf die beste Lösung wären, sondern etwas dazwischen: Ein alter Entwurf, zum Beispiel ein nicht zum Zuge gekommener Wettberwerbsteilnehmer, dessen Vorschlag rückblickend als die gegenüber dem dann realisierten Entwurf bessere Lösung erscheint, aber aus kontingenten Ursachen damals nicht zum Zug kam. Statt sich also einseitig an die Faktizität der Geschichte (mit allen damit einhergehenden Aporien: welche Schicht soll rekonstruiert werden) oder an die Innovationszwänge der Moderne zu binden, mag es Situationen geben, wo die beste Lösung eine andere, sozusagen Benjaminsche wäre: Den ungerecht zu Verlierern der faktischen Geschichte Gewordenen verspätet Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Diese dritte, Rekobefürworter und -Gegner gleichermaßen irritierende Möglichkeit wäre natürich v.a. dort zu erwägen, wo weder moderne Entwürfe vollkommen überzeugen noch Rekonstruktionen.

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  • Es ist wie so häufig in dieser Diskussion: theoretisch ja, faktisch müsste man das an einem Beispiel nachweisen.


    So charmant die theoretische Diskussion ist so konkret muss doch die Lage und Beschaffenheit einer Mauer geplant sein, wenn gebaut wird. Anders ausgedrückt: auf einer abstrakten Ebene kann man schnell Konsens herstellen, liegt ein Bauplan vor ist all das Wortgeklimper in der Regel dahin.

  • So ganz theoretisch wäre diese Diskussion nicht, zumindest wenn man von nichtmehr vorhandenen Gebäuden (oder am nichtmehr originalen Standort) spräche die an anderer Stelle entweder neu rekonstruiert bzw. die Originale an andere Stelle umversetzt wurden um einem angestrebten historischen Umfeld gerecht zu werden.


    Faktische Beispiele gibt es zumindest in dieser Form nebenan in Berlin so einige.


    Im Nikolaiviertel die Gerichtslaube (vom alten Rathaus) und Zum Nußbaum (von der Fischerinsel) als neue bzw. interpretierte Rekos und...


    Am Märkischen Ufer das Ermelerhaus (von der Breiten Straße) und Gebäude von der gegenüberliegenden Fischerinselseite.


    Ebenso das abgetragene und (jahrzehnte) eingelagerte Ephraim Palais, wiederaufgebaut an (fast) originalem Standort im Nikolaiviertel.




    Gruß, Jockel

  • Der translozierende Wiederaufbau ist aber ein anderes Thema. Dieser führt ja dazu, dass wir nun zwei Gerichtslauben und zwei Eosanderportale des Berliner Schlosses haben.


    Das Ermelerhaus ist leider durch die Kombination mit einem völlig anderen Sockelgeschoss völlig verhunzt und nicht mehr als solches erkennbar. Aber natürlich besser, als wenn es völlig weg wäre - am Original-Standort könnte man heute den ursprünglichen Bau wieder aufführen (dann gäb's das auch zweimal). Das Palais Ephraim ist ein Fassadenwiederaufbau mit einer wilden Mischung innen (Stückdecke aus dem Palais Wartenberg, Rokokotreppe).


    Da dachte ElledeBe anders - ggf. sollten zweite Sieger von Architekturwettbewerben nachträglich zum Zuge kommen. Hierzu hätte es z. B. am Schinkelplatz in Berlin gelegenheit gegeben (vertan). Das barocke Potsdam kannte noch keine Wettbewerbe.

  • Danke, Bato, für die vielen Bilder. Gelegenheit für mich, ein älteres Urteil zu revidieren: Der Otto-Braun-Platz (das ist der zwischen Landtag und Langer Brücke) ist keineswegs so lächerlich klein und unscheinbar geraten, wie ich befürchtet hatte. Da ist ordentlich Raum, und von der Brücke aus gesehen macht er sogar richtig was her.


    In zwei Punkten bleibe ich aber bei meiner skeptischen Einschätzung: Erstens versucht der Platz, eine Aufenthaltsqualität zu simulieren, die er angesichts seiner Lage an der Hauptverkehrsachse nicht haben kann. Und zweitens hat man zwar mittels strenger Gestaltungssatzung ein billiges Leuchtreklamen-Allerlei verhindert, die Läden am Platz sind aber dennoch ausschließlich von öden Franchise-Ketten besetzt. Und darin bleibt die Ecke (notwendig?) hinter ihrem städtebaulichen Anspruch zurück.

  • So "öde" ist die Franchise-Osteria in Potsdam nicht - es hängt eben viel am Franchise-Nehmer, hier geht das recht individuell zu. Letzendlich muss der Städtebau und die Architektur in einem solchen Haus damit leben, dass die Mieter im Erdgeschoss wechseln. Die Küche des Palasthotels und seine kaviarverzehrenden Gardeoffiziere kommen wahrscheinlich nicht wieder.


    Die Aufendhaltqualität ist - gerade an Sommerabenden - trotz der Brücke hoch. Der Potsdamer Straßenverkehr läßt, wie es sich für eine Provinzstradt gehört, ab 18 Uhr deutlich nach und die Abende sind hier tatsächlich charmant.


    Mal schauen, welche weiteren Nutzungen in die Ergeschosse des Chiericati und Barberini kommen! Luft nach oben ist allemal, aber auch nach unten (ein Döner ist noch nicht da...).