Krass, was geht denn hier ab?
Ich geb nur mal kurz einen Einwurf als ex-Berliner und jetzt Nürnberger:
Gestalterischer Anspruch von Architektur ist u.a. das "Abbilden, in Stein hauen" der Identität einer Stadt, der Bewohner und deren Lebensgefühl, und das wird in jeder Epoche für sich heraus neu gebaut. Und Berlin bildet exakt dies in seiner wechselvollen Geschichte - vorallem der letzten 150 Jahre - hervorragend ab.
Es gibt die endlosen Plattenbaustadtviertel in Ost und West, die riesigen Mietskasernenstädte der Kaiserzeit und daneben unzählige historische Bauten, die auf einzelne Ereignisse und handelnde Personen Bezug nehmen. Nicht wenig in Berlin ist entstanden von Machtstrukturen, die politische Ansichten bauen wollten (Flughafengebäude Tempelhof, Fernsehturm, Frankfurter Allee usw.), und das durch die Kriegszerstörungen und politische und Städtebauliche Paradigmenwechsel alles dicht an dicht udn nirgends sauber in Stadtteile udn himmelrichtungen getrennt wie bspw. in Paris. Inmitten all dessen sind ganze Generationen von Städtern groß geworden. Doch nicht selten haben diese Stadtmenschen schon einige Jahrzehnte wieder Abriss-Debatten geführt.
Glücklicherweise kam es vergleichsweise selten zum Abriss und das Meiste davon steht noch. Das macht diese Stadt dermaßen abwechslungsreich und bietet Raum für jedes Lebensgefühl.
Zum Vergleich Berlin-Paris: Hinkt vorne und hinten, da die Städte v.a. seit 1942 (Beginn der Bombardierungen) eine völlig andere Geschichte durchgemacht haben. Und das zeichnet sich völlig nachvollziehbar und zu Recht im Stadtbild ab.
Wenn man sich vorstellen möchte wie Berlin heute aussehen würde wenn es den 2. Weltkrieg nicht gegeben hätte, muss man sich Prag ansehen. Und das bietet Paris m.E. recht würdig (für dessen Größe und wirtschaftliche Bedeutung betrachtet) Paroli.
Als ich vor vielen Jahren nach Nürnberg ging war das für mich eine kulturelle Enttäuschung pâr Excelence. Ich fand nichts vom dem wieder was ich aus meiner Heimatstadt Berlin gewohnt war. Hier wirken ganz andere Kräfte und Werte: "Stadt des Mittelalter", der Burgen und natürlich das nationalsozialistische Erbe. Aber man beginnt sich damit zu identifizieren, wenn man sich damit befasst.
Wer durch eine Stadt wandelt und sich die Architektur ansieht, der schaut sich auch Stadtgeschichte an und hat die Möglichkeit, Geschichte und Lebensgefühl in sich aufzusaugen - oder es abzulehnen. Es gefällt oder es gefällt nicht. Es bleibt subjektiv.
Und Berlin ist touristisch sicherlich eine harte Nuss!
Zum letzten Beitrag:
Ich halte es ja nicht für realistisch, dass man den Riegel an der Karl-Liebknecht-Straße abreissen wird zugunsten von ähnlichen Baukörpern mit ähnlicher Bruttogeschossfläche. Bevor das irgendwer in die Hand nimmt wird man den Block Denkmalanspruch zusprechen und man wird um den vergleichweise günstigen Wohnraum fürchten. Und mal ehrlich, es ist nicht das schlimmste.
Manch andere europäische Stadt ist in derartig zentraler Lage ab 19:00 Uhr wie ausgestorben, da es eine Monokultur an Büroflächen gibt. Darunter leidet die Karl-Liebknecht-Straße aber nicht. Aber wenn wir pech haben bald der Alex und der Raum östlich der Alexanderstraße.