Talkin' 'bout Europaviertel (Basisdebatte)

  • Dadurch dass die Flächen des heutigen Europaviertels recht frühzeitig von der DB an private Investoren vergeben wurden, waren die Handlungsmöglichkeiten der Stadt FFM tatsächlich beschränkt.


    Das Europaviertels ist schon allein durch seine funktionalistische, eher grobschlächtige Struktur eintönig. Keine Vergleich mit urbanen Frankfurter Vierteln a la Sachsenhausen oder dem Nordend. Im Prinzip hat man eine fette Straße mit Büros, ein großes Shopping Center, einen großen Park und drum herum monofunktionale Wohnkästen mit eher suburbaner Anmutung. Mit ein paar Anpassungen und einem guten Bebauungsplan hätte man aber doch noch sehr viel rausholen können. Z.B. mehr, dichte Blockrandbebaung für die Wohnungen mit belebten Erdgeschossen (für Kitas, Arztpraxen, kleine Büros etc.). Insgesamt die Funktionen stärker verzahnen und nicht so arg separieren. Außerdem mehr autofreie, öffentliche Bereiche, z.B. am Europagarten, der aus unerfindlichen Gründen komplett von asphaltierten Straßen umrahmt ist, die keine echte Erschließungsfunktion haben (die Wohnhäuser können auch von den dahinter liegenden Straßen erreicht werden). Von anderen wurde ja auch schon gesagt, dass die Europaallee viel grüner hätte sein müssen. Mehr Ramblas als Karl-Marx-Allee.


    Zusätzlich hätte man als Stadt die Investoren mit städtebaulichen Verträgen dazu bringen können für Qualitäten zu sorgen (z.B. Architekturwettbewerbe und Gestaltungsvorgaben für die Gebäude). Im Gegenzug dann hier und da ein Geschoss mehr erlauben oder noch 1-2 kleinere Wohnhochhäuser.


    Vermutlich war das aber politisch nicht gewünscht. Oder man ist sich nicht einig geworden und die Investoren haben halt nur das bare minimum umgesetzt um maximale Gewinne zu erzielen (sind ja nicht die Caritas...).

  • Nur eine kurze Richtigstellung (was ich ja sonst nie mache)

    • Die Flächen wurden von der DB nicht und damit auch nicht frühzeitig an private Investoren vergeben. Es gab zwei Gesellschaften (aurelis und Vivico), die sich um Baurecht bemühten.
    • Die Handlungsmöglichkeiten der Stadt waren nie beschränkt, das Gegenteil ist richtig. Mit Kompetenz hätte man sie auch ausschöpfen können.
    • Ein neues Quartier städtebaulich kann man m. E. nicht mit einer gewachsenen Struktur zu vergleichen (Sachsenhausen blieb im WWII weitestgehend unversehrt).
    • Die Stadt hat städtebauliche Verträge abgeschlossen. Aber da sind wir wieder bei der Kompetenz.
  • Danke für die Antwort. Ich will auf zwei Punkte eingehen:


    Vivico und Aurelis sind doch privat, ein besonderes Interesse an gelungener Stadtentwicklung haben die eher nicht. Alternativ wären ja auch ein Flächenerwerb und eine Grundstücksvergabe zu festen Bedingungen was Architektur etc. angeht durch die Stadt Frankfurt / eine städtische Gesellschaft möglich gewesen (Hafencity Hamburg läuft nach diesem Modell, und Seestadt Aspern in Wien IMO auch).


    Sachsenhausen (rund um Schweizer Platz und Südbahnhof) und das Nordend waren auch Neubauviertel Ende 19. Jahrhundert. An der kleinteiligeren Struktur hätte man sich beim Städtebau durchaus orientiere können. Ich finde das Deutschherrenufer und der Westhafen sind schöne Frankfurter Beispiele wo es städtebaulich weniger grob zu ging.


    Naja, alles vergossener Wein.

  • Ich war heute (heißer Sonntag) einmal länger im Europaviertel und war auch eher negativ überrascht, mein Eindruck:


    1) sehr corporate und sehr steril da alles, nichts, das irgendwie Charme hat.

    2) Kaum Menschen auf der Straße und in den Restaurants

    3) Hoher Anteil Expats (also Ausländer, die aus beruflichen Gründen in Frankfurt sind)

    4) Sehr wenig grün: Steinwüste mit kaum Schatten

    5) Europagarten eher öde und weitgehend ungenutzt


    Bewertung:

    1) Ich kann mir vorstellen, dass der Trend ein wenig Richtung solcher Ecken (funktional, steril, corporate, abgeschlossen, "gated community"-Stil, kein wirklicher Kiez-Spirit) geht.

    Im Ausland sieht man das öfters und gerade einige Expats wollen so etwas trotz der Nachteile, in Deutschland hat die Qualität des öffentlichen Raumes auch so stark nachgelassen, dass es viele dann doch lieber so haben als z.B. ein Bornheim oder gar ein Bahnhofsviertel.


    2) Man sagt ein Neubaugebiet braucht zehn Jahre um attraktiv zu werden, evtl. dauert es einfach noch ein bisschen

    3) Mit der U-Bahn wird etwas Leben reinkommen

    4) Trotzdem muss man denke ich erheblich nachjustieren, ich weiss nicht genau durch wen und wie das erfolgen soll, aber aktuell bleibt das Viertel massiv unter seinen Möglichkeiten.

  • Ich arbeite im Europaviertel (in der Nähe des Europagartens) und wohne am Riedberg, kann also die beiden größten Frankfurter Neubaugebiete der letzten Jahrzehnte ganz gut vergleichen.

    • Architektonisch sind beide keine Offenbarungen. Sehr viel "Klötzchenhusten" herrscht vor. im Europaviertel ist es noch etwas schlimmer, weil die Struktur eine andere ist, denn der Riedberg ist zu 95% ein reines Wohnviertel, im Europaviertel gibt es auch viele Bürogebäude und die wirken aufgrund ihrer langen monotonen Fassaden deutlich abweisender. Am Riedberg hat man zwar auch große Zweckbbauten mit dem Uni-Campus (gehört offiziell zu Niederursel, liegt aber auf dem Riedberg), dort hat aber Vater Stadt nach meinem Empfinden durchaus einiges auch in die architektonische Qualität investiert.
    • Je weiter hinten man im Europaviertel kommt (ungefähr ab Höhe Europagarten/FAZ-Tower) desto attraktiver wird das Viertel. Speziell das Parkend ist architektonisch recht gelungen.
    • Die langgezogene Schlauchstruktur des Europaviertels (2km Länge vom Skyline Plaza bis Westside Tower) sorgt auch dafür, dass sich unheimlich viel visuell auf die Europaallee fokussiert. Das ist logischerweise in einem eher flächig angelegten Stadtteil wie dem Riedberg (auch da sind es von einem Ende zum anderen 2km Luftlinie, allerdings ist der Riedberg 4x so groß wie das Europaviertel) ganz anders. Die Schlauchstruktur erschwert auch das Zusammenwachsen des Stadtteils auf menschlicher Ebene. Im Europaviertel gibt es z.B. keine Vereine, richtige Sportstätten, Sporthallen, etc.
    • Dem Europaviertel fehlt es an Grün. Der Europagarten ist noch relativ jung und leider eine völlige Fehlplanung. Die mittlerweile gut eingewachsenen Parks am Riedberg (zumindest Bonifatiuspark und Kätcheslachpark) tragen deutlich zur Aufwertung und zum Lebensgefühl am Riedberg bei. Was ich mit eingewachsen meine, kann man auf diesen beiden Bildern aus dem Bonifatiuspark sehen, zwischen denen ca. 15 Jahre liegen (hier und hier)
  • Also ich war ja nur einmal da, aber beim Europagarten hatte ich direkt das Gefühl, dass es das ja nicht gewesen sein kann.

    Offenbar hat man das aber erkannt und sieht Handlungsbedarf: Europagarten 2.0 (europagarten-frankfurt.de)


    Bequemerweise schiebt man die Fehlplanung auf den Klimawandel, aber OK, Hauptsache es passiert etwas.


    PS: Ich glaube wenn man den Park hinkriegt und diese riesigen Steinflächen mal mit grün auflockert (letzteres wird nicht billig ...), dann können da schon positive Impulse entstehen.

  • Anfang der 2000er konnte noch niemand wissen, dass eine große Rasenfläche ohne Schutz durch größere Bäume in der Sommersonne verbrennt, sofern nicht regelmäßig gewässert wird? Halleluja.

  • Klingt vielleicht komisch, ist aber gar nicht so falsch: Bis etwa 1997 waren ausgetrocknete Rasenflächen eher die Ausnahme und nicht der Normalfall.

  • Frankfurt, im Speziellen das Europaviertel, eine "Urban Horror Story"?


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  • Joah, an der einen oder anderen Stelle mag er ein paar nicht von der Hand zu weisende Punkte aufgreifen, aber alles in allem ist der Clip schon ein wenig reißerisch und überzogen. Ich bin auch kein Fan des Europaviertels, aber es ist eben leider auch immer noch nicht fertig. Einige der Kritikpunkte, wie fehlende Bäume, etc. werden sich ja noch ändern. Der Boulevard wird sicher auch wieder wesentlich belebter sein, wenn die Ewigkeitsbaustelle auf der Allee endlich wieder verschwindet. Die Situation von Außerngastro und Co war nämlich sogar auch schon mal besser, bevor die Allee mal wieder aufgerissen wurde.

    Mein größter Kritikpunkt wäre die zum Straßenraum hin doch sehr monotone und brachiale Architektur. Einigen Projekten hätte sicher mehr Kleinteiligkeit gut gestanden, anstatt einfach einen riesigen formlosen Block auf der Parzelle zu bauen und dann drei unterschiedliche Fassaden dran zu klatschen. Die „Hampton by Hilton – Premier Inn – Capri“ Hotelschlange (Klick für Google-Maps-Ansicht) ist wirklich, der absolute Offenbarungseid.

    Aber es gibt eben auch Dinge die man leicht übertsieht. Die schmucklosen Wohnblocks, haben jeweils einen recht ansprechenden Innenhof, in dem dann auch die Balkone und Spielgeräte für Kinder untergebrachts sein. Wind- und Lärmgeschützt und mit etwas mehr Privatsphäre, als diese auf der Allee gehabt hätten. Es gibt sicher einige andere Ecken der Stadt, in denen die Wohnqualität nicht ganz so gut ist.

    Ich würde sagen wir schauen eibfach mal was daraus wird, wenn die Straße endlich mal geschlossen ist und wieder Außengastro und Bäume einzug halten. Vielleicht werden wir ja positiv überrascht!?

  • Kleinigkeit, die mir aufgefallen ist: wenn man von West nach Ost durchs Viertel läuft, ist der Weg durch die Emser Brücke schon unschön unangenehm. Wer einen netten Sonntagsspaziergang macht, will da nicht unbedingt durch. Solche Wege sind natürlich immer schwierig, gibt es Methoden das aufzuwerten? Helligkeit, Pflanzen, Kunst, einen Kiosk oder so? Wenn Sparda-Bank, RAW und Nion stehen wird das ja nochmal wichtiger. Wäre ja schön wenn nicht aller immer direkt in die U5 abtauchen würden sondern auch die Oberfläche zum Flanieren nutzen würden.


    Und vielleicht noch eine Frage für Experten: positives Beispiel für ein solch neu-entwickeltes Mischviertel ist aus meiner Sicht Gangnam in Seoul: kann man davon in Frankfurt irgendetwas lernen oder sind die Voraussetzungen zu unterschiedlich?

  • ^ ich würde beides nur ungern vergleichen; der Stadtteil von Seoul birgt über 540.000 EW auf 40 km², dagegen erscheint das Europaviertel wie eine Straßenrandbebauung. Natürlich kann man davon vielleicht auch lernen, der Blick über den Tellerrand schadet nie. Wir landen aber immer wieder bei der Kardinalfrage, wie detailliert die Vorgaben der Stadtplanung für die Bauherrschaften sein soll, wieviel Regulierung, wieviel Baufreiheit. Die Frankfurter haben sich seinerzeit entschieden, den Investoren (das waren zwei an der Zahl - Aurelis und Vivico) nur basale Vorgaben zu machen, im wesentlichen nur die Nutzungsarten, die Baulinien und Baugrenzen sowie die Bauhöhen; den Rest haben die Investoren und deren Architekten "verbrochen", die sich als wenig visionär entpuppt haben. Niemand, vor allem nicht die Stadtplanung, haben die Eigentümer und Architekten gezwungen, derart uninspiriert zu bauen, wie sie es getan haben; oder hat ambitionierte Architektur verhindert. Anspruchsvolle und qualitätvolle Architektur hat nichts mit guter oder schlechter Stadtplanung zu tun.

    Einmal editiert, zuletzt von tunnelklick () aus folgendem Grund: Rechtschreibung

  • Verkehrs- und Stadtplanung sowie Architektur geht immer Hand im Hand. Das ist eins der Grundübel des deutschen Nachkriegsstädtebaus das alles separat betrachten zu wollen, denn entsprechend technokratisch sind dann auch die Ergebnisse.

    Den alles andere als attraktiven Straßenraum mit mehreren Tunnelrampen etc hat ohnehin die Stadt selbst verbrochen. Da gabs bekanntlich mal ganz andere Pläne für, die deutlich mehr Potenzial gehabt hätten eine gewisse Aufenthaltsqualität zu erzeugen. Aber wenn man wegen ein paar Millionen Euro oder aus purer Ideologie die U-Bahn dann lieber abschnittsweise oberirdisch führt, dann hat man halt diverse Zwangspunkte die auch ein paar Bäume nicht mehr rausreißen werden (zumal die Entscheidung erst so spät getroffen wurde dass es am Ende auch inflationsbereinigt teurer wurde als die ursprünglichen Pläne).

    Wenn das Viertel Potenzial hätte, würde man das jetzt schon erkennen. Dem ist aber nicht so, und da brauchen wir auch nicht auf irgendeinen ominösen Zeitpunkt in der Zukunft hoffen wenn denn mal alles fertig sein sollte.

  • tunnelklick hat schon recht. Alle beschweren sich über zuviel Bürokratie und zu viel staatliche Vorgaben, aber wenn Vater Staat dann mal kaum was vorgibt ist es auch wieder falsch. Man kann nicht beides haben und beide Ansätze (Nanny-Staat vs. Nachtwächter-Staat) haben ihre Vor- und Nachteile.


    Was man der Stadt ganz klar ankreiden muss (wie Rohne das korrekterweise tut) ist das Drama mit der U5-Erweiterung. Man schaue sich einfach nur mal die jährlichen Satellitenbilder des Boulevard-Ost auf dem Geoportal-Frankfurt aus dem Jahr 2006 an (da wurden viele Bäume an der Europa-Allee gepflanzt) und wie das da dann über die Jahre weiterging. Es ist ein absolutes Trauerspiel für das gesamte Viertel, dass man mit der U5 so ewig gewartet hat. Denselben Fehler befürchte ich jetzt wieder beim U4-Lückenschluss.

  • Ja, man kann das kritisieren, zumal die VGF selbst eine erste Planung in den Sand gesetzt hat (Tunnel auf ganzer Länge, obwohl zu dieser Zeit die Zuwendungsgeber schon intern signalisiert hatten, dass die das nicht fördern würden); dadurch ist viel Zeit verplempert worden. Aufgrund der Vorhaben- und Erschließungspläne mit den Bauträgern (Aurelis und Vivico) war die Herstellung der gesamten Verkehrsinfrastruktur Sache der Bauträger, die Straßen, Kanäle und was nicht alles der Stadt übereignet haben; die Bäume sind 2006 von den Bauträgern gepflanzt worden; die hätten ja den U-Bahn-Tunnel bauen und vorfinanzieren können (so wie sie es mit dem Tunnel unter dem Europagarten getan haben). Die Stadt konnte damals jedenfalls keine U-Bahn bauen, weil die Fördervoraussetzungen nicht vorlagen. Ich möchte auch daran erinnern, dass lange gar nicht klar war, ob die Erschließung nicht auch über eine Straßenbahnlinie erfolgen würde, sowohl dort als auch am anderen Ende der U5 in der Eckenheimer Ldstr.


    Was die Verkehrsinfrastruktur und -planung angeht, haben die Eigentümer und die Stadt nicht gut kooperiert, das würde ich auch kritiseren, aber Aurelis und Vivico (ursprünglich mal Unternehmen der Deutschen Bahn) sollten vornehmlich Kasse machen, von deren Seite war eine Mitwirkung jedenfalls nicht zu erwarten. Nicht vergessen: anfangs, als ein "Vorratstunnel" hätte angeschoben werden müssen, lief die Entwicklung des Europaviertels auch eher schleppend.