Trümmerkultstadt Berlin?

  • Da wird der Moltkemarkt wieder so eng bebaut,wie zu Zeit,als dort noch Ochsengespanne vorherrschten und Berlin nicht mehr als 300-400.000 Einwohner hatte.



    Das Sichtbarmachen und Konservieren von WK II Kriegsschäden,wird m.E. nicht durch eine "aufgezwungene Schuldkultur" vorangetrieben,sondern durch das ehrliche Interesse an authentischen,historischen Zeitzeugnissen.


    Von welcher Zeit sprichst du, als Ochsengespanne im berliner Zentrum vorherrschten? Bis zur Neuzeit war Berlin nur eine Kleinstadt, im Aufklärungszeitalter hatte Berlin 50.000 Einwohner. Dass Berlin die Großstadt mit der blaßesten Historie in ganz Deutschland ist wird durch das Fehlen historischer baulicher Zeugnisse eindrucksvoll belegt. Es gibt keine "Altstadt". Und das was als Altbauten bezeichnet wird ist selten älter als ein gutes Jahrhundert. Berlin hat jämmerlich wenig historische Bausubstanz vorzuweisen und darum kann ich nicht verstehen wenn Versuche die vorindustrielle Geschichte erlebbar zu machen kategorisch abgelehnt werden. Es soll doch trotzdem kein Freiluftmuseum entstehen. Die Häuser stehen halt enger als am Alexanderplatz, naja.


    Und du hast dafür sogar noch ein wunderbares Argument geliefert, es geht um "das ehrliche Interesse an authentischen,historischen Zeitzeugnissen". Dazu gehört auch der Grundriß einer Stadt, der im Untergrund ja bis heute erhalten ist. Es plant doch keiner eine originalgetreue Rekonstruktion. Es soll nur der alte Zuschnitt der Stadt, der im Untergrund vorhanden ist, wieder erlebbar gemacht werden. In einer Stadt die sonst fast keine Bauwerke hat die auch nur älter als "Gründerzeit" sind sollte man dem eine Chance geben.


  • Ich finde künstlichen Gedenkkult, wie er seit 1968 zur hohlen Gewohnheit wurde, recht absurd. Aber gleichzeitig finde ich dass das ein Zeugnis von Geschichte ist - und zwar der Nachkriegsgeschichte. Allein darum finde ich das erhaltenswert - zB die Gedächtniskirche.


    Eine echte Weltkriegsruine ist doch das am wenigsten künstliche Mahnmal an die Kriegszerstörung.



    ...Und wenn in diesem Geiste, nicht aus Trotz, eine alte Stadt wiederaufgebaut wird dann hat das auch einen ganz anderen Charakter. Ich denke für diesen Geist ist die Zeit nun reif, die Generation die Trotz hätte empfinden können ist ohnehin schon lange im Altersheim - oder darüber hinaus. Die junge Generation hat die Chance - und das Recht! - diese Fragen gänzlich neu zu verhandeln.... .


    Bist du nicht ein paar Jahrzehnte zu spät dran? Wozu soll man denn jetzt noch vergangene Baugeschichte wiederholen wenn die Menschen von damals schon tot sind?

  • Sie sollten überlegen, wie man die Schönheit von Erkern aus Holz und Sandstein in heutige Entwürfe transferiert. Sie sollten die Anmut von Ziegeldächern, Giebeln und Gauben als Auftrag begreifen und uns mit häßlicher Fahrstuhl- und Klimatechnik verschonen.


    Das hat man in den 80er Jahren gemacht.


    Ein schönes Beispiel ist das Gelände der Universität Kassel am dortigen Holländischen Platz. In den 70er Jahren hat man einen Sichtbetonbau gebaut. In den 80er Jahren hat man sich an den ehemals dort stehenden (im Krieg zerstörten) Industriehallen orientiert und mit rotem Backstein, roten Ziegeldächern, Erkern, Türmchen, Brückchen usw. gebaut. Danach hat man einen schwarzen Glaskubus in die erhaltenen Außenmauern einer alten Werkshalle gebaut. Und schließlich in den 90er Jahren ein neues Gebäude mit glatter Metall und Glasfassade hinzugefügt.


    Inzwischen wird wieder gebaut aber ich weiß aktuell nicht wie die neuen Gebäude aussehen werden.



    Sehr viele Automobile sind in ihrem Design Werke, die die künstlerische Gestaltung von historischen Kutschen
    weit hinter sich lasssen.


    Diesem Erfolg sollte die Architektur nacheifern.


    Wenn du Interviews mit Autodesignern liest dann beklagen die sich dass den Leuten vor allem das gefällt woran sie schon gewöhnt sind und sie Neuem eher skeptisch gegenüber stehen.

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  • ... dass den Leuten vor allem das gefällt woran sie schon gewöhnt sind und sie Neuem eher skeptisch gegenüber stehen.


    Ja, genau das meine ich:
    Obwohl die Designer lieber etwas ganz anderes durchdrücken möchten, müssen sie sich bei ihrer Arbeit am Geschmack "der Leute" orientieren. Phantasieprodukte bleiben als sogenannte "Studien" dem Genfer Salon oder der IAA vorbehalten.
    Aber die konkreten Modelle für die Serie orientieren sich am Geschmack der Kunden, von dem die Designer sich nur einen Hauch nach vorne entfernen dürfen - sonst bestraft sie der Markt.


    Es ist ja schließlich nicht so, dass sich die Karosserien nicht spürbar weiter entwickelt hätten.
    Man schaue sich nur den OPEL Kadett A von 1962 und den aktuellen Astra J an - dazwischen liegen Welten und 50 Jahre Designentwicklung. Heute ist der Astra wieder der meist verkaufte OPEL.


    Und das alles soll in der Architektur nicht möglich sein?

  • Und das alles soll in der Architektur nicht möglich sein?


    Bei Einfamilienhäusern läuft es doch ganz ähnlich wie du es beschrieben hast. Bei der Vermarktung neu zu bauender Eigentumswohnungen ja im Prinzip auch.

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  • Stimmt! :D Und selbst ich gebe zu, dass die Ergebnisse oft grauselig sind...


    Aber mir geht es in dieser Diskussion um die Qualität der Innenstadtbebauung.
    Pariser Platz, Leipziger, Cotti, Görli, Nolle etc.

  • Zitat von Kleist:

    Was mir heute fehlt ist eine gewisse Grosszügigkeit.Alles muss eng bebaut werden,um sog.Urbanität zu erzeugen.Breite,schnurgerade repräsentative Strassen wie der Kaiserdamm oder die Karl-Marx Allee wären heute kaum noch durchsetzbar.Da wird dann von Flugzeuglandepisten und Schneisen gesprochen.
    Da wird der Moltkemarkt wieder so eng bebaut,wie zu Zeit,als dort noch Ochsengespanne vorherrschten und Berlin nicht mehr als 300-400.000 Einwohner hatte.


    das mag wirklich zu Treffen, aber Berlin hat doch mittlerweile immer mehr Grosszügige Schneisen! ich meine der Molkenmarkt ist doch bis zum Leipziger Platz keine schöne Strasse! was man aber auch nicht alles so erhalten lassen muss, Berlin hat doch genug altes DDR zeugs? und zum Thema Karl-Marx-Allee wir als Verein begrüssen die Begrünung des Mittelstreifens der Allee, weil so richtig gemütlich und schön wirkt das auch nicht, und eine Stadt, muss auch für seine Bürger was zum "Ausruhen und zum Gemütlichen" Einladen es wäre fatal und auch scheuslich, wenn man alles an DDR Kultur erhalten würde, die KMA und der ALEX sind doch ein gutes Zeugnis einer DDR Epoche, und damit ist es doch auch gut? Berlin sollte nicht nur eine Stadt für Touristen sein, denn wenn man die Menschen vergrault, bzw. denen ihren Wohnraum auch lässt, ist das auch ein positves Echo für andere Wohngegenden der Stadt.
    Also DDR Wohnkultur Ja, aber mit geschick und logig, denn schön sieht es auch nicht aus,wenn die halbe Innenstadt wie ein große Autobahn wirkt, wer sowas schön findet, kann gerne in die USA ziehen, denn das ist nicht typisch Deutsch, man kann einiges erhalten, aber alles? Nein. das wäre auch nicht im Sinne der Anwohner, denn es zieht auch Müll,Lautstärke mit sich, und darauf muss auch rücksicht nehmen. Und die Entschuldigung mit ein paar Hundert Einwohnern und einer kleinen Strassen wie vor 100 Jahren, kann man so auch nicht deuten, wie gesagt mit Bedacht Aus & Umbauen!


    allen einen Schönen Tag.

  • Gehört eigentlich in den Architektur und Städtebau Strang

    ^ Es geht auch nicht darum,die DDR zu konservieren,dass liegt mir,der nie im Osten gelebt hat,auch fern.
    Mir sträuben sich nur die Nackenhaare,wenn aus vorgeblich ästhetischen Empfinden,was ja subjektiv ist,baugeschichtlich bedeutende Zeugnisse am Liebsten platt gemacht werden sollen,um irgendwelchen historistischen Fassaden Platz zu machen oder heute völlig unbrauchbare,alte Strassengrundrisse wiederherzustellen.
    Der Moltkemarkt z.B. dient als Haupverkehrsader,wenn man diese Ader verengt,hat man nichts gewonnen,nur Schaden angerichtet.

  • ^ da gebe ich Dir gerne recht Kleist, die Straße zu verengen könnte durchaus einen Verkehrskollaps geben. Aber ich denke, man könnte beides ermöglichen? denn so eine fette Strasse im Innenstadt-Bereich lehnt man Heute eh ab, ich habe von Freunden gehört, das dies auch in Köln getan wurde, Heute bereut man es, das man auf sowas hätte verzichten können, also nicht auf alle großen Strassen, aber halt auf Orte, die dadurch Verschandelt wurden.
    Meine Idee:
    - die Strasse so lassen, wie sie ist
    - trotzdem die neuen Häuser setzen, und dafür einfach den Mittelstreifen Begrünen?

  • Naja - hier geht´s um Trümmerkult und nicht um verbreiterte Straßen.
    Das hatte ich auch etwas aus den Augen verloren... ;)
    Frohe Weihnachten übrigens!

  • Zum Trümmerkult hätte ich noch das alte Hotel Esplanade mit einem schlechten Handyfoto zu bieten. Das war vor 1989 in besserem Zustand:


  • Das wird vorallem dann interessant, wenn man weiß, dass es allein ca 70 Millionen gekostet hat diese Trümmer unter das Glas zu schieben, damit man sie nicht abreisst. Denn freilich hatte man beim Sony Center nicht bedacht, dass das Teil trotz allem unter Denkmalschutz stand. Ursprünglich sollte alles weg.

  • Hinzuzufügen wären auch noch die frisch "sanierten" Sophiensaele in der Spandauer Vorstadt (Artikel BZ).
    Eine der Verantwortlichen meinte vor 2 Monaten in einem Beitrag der Abendschau: "Wir lassen auch ganz viele Narben.(...) Wir wollen wirklich die Spuren konservieren und nicht auf einen historischen Zustand zurücksetzen."
    Das scheint gelungen zu sein. Wobei ich diesen Zustand in einem rückwärtigen Hinterhof für verschmerzbarer halte, als an einer straßenseitigen Fassade.

  • Denn freilich hatte man beim Sony Center nicht bedacht, dass das Teil trotz allem unter Denkmalschutz stand. Ursprünglich sollte alles weg.


    Für mich ein gutes Extrembeispiel warum das selbsternannte moderne Verständnis von Denkmalschutz, gar Rekos, in die Sackgasse führt. Ein Gebäude steht nicht unter Denkmalschutz um den Zustand Anno 2011, "Verfall", zu erhalten. Sondern als ZEITZEUGE der Erstehungszeit! Und Zur Erstehungszeit war das Gebäude, wie das nun mal prinzipiell ist, neu und tadellos und schon gar nicht wäre es so genutzt worden. Das ist das was die Befürworter von sog. kritischer Rekonstruktion und "modernem" Denkmalschutz nie zu verstehen scheinen. Baudenkmäler sind keine Kunstskulpturen sondern Zeitzeugen die einen authentischen Eindruck früherer Lebenswelten vermitteln sollen. Der Ruinenkult vermittelt vielleicht einen Eindruck von Erosion durch Wettergeschehen oder Bauphysik aber keinen von jenen Lebenswelten zu Zeiten der Erstehung. :nono:

  • Vor kurzem gab es zu den Sophiensälen einen Artikel im Tip. Man hatte 2,3 MEURO aus Mitteln der Lottostiftung zu Verfügung und konnte damit die Säle unter Wahrung der Denkmalschutzauflagen und Sicherheitsbestimmungen sanieren. Ziel war es vor allem für die Bühne eine unbefristete Zulassung zu bekommen. Für mehr war anscheinend kein Geld vorhanden :-/

  • ^ Ich glaube für ein Mehr war eher der Wille nicht vorhanden. Ganz bewusst hat man diese Kunststätte in seinem ruinösen Zustand belassen wollen, worauf ja auch in der Presse häufig genug hingewiesen wurde. Offenbar weils gefällt und um die lokale Künstlerszene nicht auf die Palme zu bringen (siehe auch Artikel Tagesspiegel). Deshalb glaube ich nicht, dass man aus der Not eine Tugend gemacht hat, sondern dass der Zustand auch bei dreifacher Geldmenge so belassen worden wäre.

  • ^
    Die Wahrheit liegt wahrscheinlich wie so oft in der Mitte. Ein Independent Theater in glanzsanierten Sophiensälen hätte imagetechnisch wohl nicht zusammengepasst.

  • Durcheinander

    Also ich verstehe hier anscheinend etwas nicht. Auf der einen Seite reden wir hier von "Historismus" und auf der anderen Seite von dem erhalt der wenigen Bauten und Architektur aus vor oder um die Jahrhundertwende.


    Ich sehe auch den Kritikpunkt nicht - wir leben in Berlin - hallo? Also viel mehr Baustile auf einen Flecken kann man wohl kaum auf einen Flecken haben.


    Die Sehnsucht nach Ensemblen die in sich geschlossen wirken, nach Strassenzügen wo man Sichtachsen hat, bei denen nicht ein eckiger 70ér Jahre Klotz oder Glasfassade ala praktisch, quadratisch, gut das ganze den Charme oder Harmonie nimmt.


    Ich finde man muss sich endlich dafür entscheiden, will man ein Berlin mit einer lebenswerten Mitte oder eine Stadtmitte die man beliebig auch woanders finden kann.


    Ich meine die Strasse vom Alexanderplatz bis hin zum Strausberger Platz hat doch nichts was historisch erhaltenswert wäre (ich rede jetzt nicht vom Wohnraum oder nur indirekt von sozialen Aspekten) sondern rein von der Architektur. Diese eckigen Baubunker kann man auch in Cottbus oder sonstwo im Osten Deutschlands oder weiter östlich in Europa bewundern. Wunderschön und lädt zum verweilen oder flanieren garantiert nicht ein.


    Wenn es darum geht historisch bedeutende Gebäude wieder herzustellen, im Einklang mit der Umgebung und um in Berlin nicht gänzlich den Eindruck zu erwecken das umso funktionaler und liebloser die Architektur umso besser - bin ich durchaus dafür alte Fassaden wieder herzustellen, ja und sogar soweit zu gehen wieder ein Stück historische Architektur zum leben zu erwecken mit dem Hintergrund das es es sich sehr wohl lohnt Architektur so zu gestalten, das Sie zur Lebensqualität beiträgt.


    Ich weiss nicht, ob jemand schon mal in Frankreich, in Italien alte Innenstädte bestaunen durfte - das kann man in Berlin nicht wieder herstellen - aber man kann durchaus wieder Bezug zu einer Zeit herstellen die architektonisch sehr versöhnlich stimmt, wenn an an 3.Reich-Architektur, 50ér- 60ér und 70ér Jahre Nachkriesarchitektur denkt und dazu noch die DDR-Architektur addiert.


    Was kann daran falsch sein?